Die Magie des achten Bundesrats

Eigentlich ist der Neuenburger Jean-Luc Portmann Staatsrechtler, Oekonom und Politologe. Liest man sein Buch zum Schweizerischen Regierungssystem, bekommt man aber den Eindruck, er sei Historiker, allenfalls Politikberater, der gute Kenntnisse hat, von wo das Regierungssystem der Schweiz kommt, was es kann, und woran es regelmässig auch krankt. Seine ganze Hoffnung auf Verbesserung investiert er in die Begründung, warum es einen achten Bundesrat/eine achte Bundesrätin brauche.

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Die frühe Verfassung
Drei verschiedene Regimes unterscheidet Portmann gleich zu Beginn des Buches: das parlamentarische, das präsidentielle und schweizerische. Dieses habe drei Charakteren: es sei direktorial, kollegial und departemental. Uebernommen habe die Helvetische Republik das aus der französischen Verfassung des Jahres III (1795), die ein Parlament mit zwei Kammern vorsah, welches die gleichberechtigten Regierungsmitglieder einzeln wählt und kontrolliert. Ganz anders als in einem parlamentarischen System es die Regierung aber nicht abberufen.

Von diesem Regierungssystem in den frühsten Demokratien hat sich Frankreich längst abgewendet; in der Schweiz hält es sich, ausgehend von der Helvetischen Republik mit Direktorium, Kommission und Rat, wie die Regierungen genannt wurden, und den frühen Kleinräten in den (regenerierten) Kantonen. Seit 1848 bildet es die Grundlage für die Konstitution des siebenköpfigen Bundesrats.

Die Bundesverfassungen von 1848, 1874 und von 1999 bestimmen juristisch die heutige Form des Bundesrats. Hinzu kommen die Revisionen von 1931 mit dem Uebergang von der drei- zur vierjährigen Amtszeit einerseits, die von 1971 anderseits, welche die Einführung des Frauenstimm- und Wahlrechtes brachte. Das Kollegialsystem, eigentliches Kernstück des schweizerischen Regierungssystems, hat alle Verfassungs- und Gesetzesrevisionen überdauert. Hauptgrund hierfür sieht Portmann darin, dass es auf ein Gleichgewicht zwischen Regionen, Sprachen, Religionen, politischen Parteien, ja auch zwischen den Geschlechtern angelegt sei.

Die Reform(versuche)
Einiges, so der Autor, habe man im Verlaufe der Zeit am Regierungssystem zu ändern versucht. In seiner Uebersicht behandelt er die drei gescheiterten Anläufe für eine Volkswahl des Bundesrats. Er geht auf die Frage ein, welches die richtige Zahl dr Mitglieder sei, denn namentlich die Linke habe sie von 7 auf 9 erhöhen wollen. Schliesslich nimmt er sich auch der Quotenfrage für die Geschlechtervertretung an, wie sie in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts gestellt und verworfen worden ist. Jedes dieser Kapitel schliesst er mit Erörterungen von Vor- und Nachteilen ab, die letztlich nahe an den effektiv gefällt politischen Entscheidungen liegen.

Engagierter ist das Buch bei der Darstellung der jüngsten Staatsleitungsreform. Erstmals gefordert wurde sie Ende des 19. Jahrhunderts. Bis man damit Ernst machte, dauerte es aber noch fast ein Jahrhundert. Skandale, von dem beim Kauf des Mirage-Flugzeuges in den 60er Jahren bis zu dem, der Ende der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts zum Rücktritt von Elisabeth Kopp als Bundesrätin führte, legten das Fundament. Die Kommission um den Basler Staatsrechtsprofessor Kurt Eichenberger formulierte die denkbaren Strategien: entweder zum parlamentarischen oder zum präsidentiellen Regierungssystem überzugehen, oder aus drei systemverträglicheren Varianten (Stärkung der Departementssekretariate, Einführung eines Präsidiums zur Führung eines vergrösserten Gremiums und Teilung der Regierung in ein kleines Kabinett, erweitert durch Minister) auszuwählen.

Die meisten kennen die Geschichte seither: Der Vorschlag mit 7 BundesrätInnen und 10 StaatssekretärInnen scheiterte in der Volksabstimmung vom 9. Juni 1996. Das löste zwar zahlreiche Aktivitäten im Parlament aus, doch hemmte es auch den Mut, die nötige Staatsleitungsreform mit der Totalrevision der Bundesverfassung von 1999 zu verbinden und abzuschliessen. Seither basteln verschiedene Akteure an einer sinnvollen und realisierbaren Reform: der Bundesrat, progressive ParlamentarierInnen, WissenschafterInnen, aber auch verschiedene politische Parteien. Fast alles davon ist trotz evidenter Mängel am Beharrungsvermögen des schweizerischen Regierungssystems gescheitert. Einziger Lichtblick: die Einführung von Staatssekretariaten, die den Bundesrat in drängenden Dossiers entlasten.

Die Position des Autors
Im kurzen Schlusskapitel bezieht der Autor Stellung. Er schlägt einen Bundesrat mit 8 Mitgliedern vor, verbunden mit der Schaffung eines Präsidialdepartements mit einem aufgewerteten Bundespräsidium.

Selber nennt Portmann sein Unterfangen „wenig amibitiös“, denn es stelle das Fundament des politischen Systems nicht in Frage, wie das beim Uebergang zum parlamentarischen oder präsidentiellen Regierungssystem der Fall wäre. Abgelehnt werden die Volkswahl und der Uebergang zu einem Koalitionssystem, denn beides sei mit den ausgebauten Volksrechten in der Schweiz nicht in Uebereinstimmung zu bringen. Schliesslich würde eine klar erhöhte Zahl an BundesrätInnen die Kollegialität pervertieren.

Den Hauptgrund für das Präsidialdepartement sieht der Autor in der Ueberlastung der jetzigen BundesrätInnen mit ihrer Departementsarbeit im Präsidialjahr. Der achte Bundesrat/die achte Bundesrätin brächte den Vorteil, Sprachminderheiten, politische Parteien und Kantone besser einbinden zu können. Gewählt würde er oder sie im Vorschlag Portmann alle zwei Jahre, ohne Möglichkeit der direkten Wiederwahl. Die Stellvertretung hätte ein Mitglied der Departements-BundesrätInnen inne. BundespräsidentIn und Stellvertretung müssten stets die verschiedenen Sprachregionen repräsentieren, so der Staatsrechtler. Das Präsidialdepartement würde die Bundesratssitzungen vorbereiten und leiten. Der/die BundespräsidentIn würde stets mitstimmen, bei Stimmengleichheit gälte die entsprechende Stimme doppelt. Anders als bei einem/r MinisterpräsidentIn hätte der/die neue BundespräsidentIn aber kein Weisungsrecht gegenüber den anderen Mitgliedern der Regierung. Im Notfall würde er oder sie provisorische Entscheidungen fällen können, mit der Verpflichtung der nachträglichen Ratifizierung.

Zur Entlastung der Departements-Bundesräte befürwortet Portmann zudem 1 bis 2 StaatssekretärInnen pro Departement, vorgeschlagen vom Departementschef, gewählt durch den Bundesrat als Ganzes und bestätigt durch das Parlament. Deren Aufgabenbereiche bestehe in der Vertretung des Departementschefs im Parlament, in den Kommissionen, in den Medien, gegenüber den Kantonen, aber auch anderen Staaten und supranationalen Organisationen.

Vom reinen Kollegialsystem würde man damit zum geführten übergehen, bilanziert Portmann seinen eigenen Vorschlag. Bei den Staatssekretariaten bildet der Autor im Wesentlichen ab, was sich als Teil der Staatsleitungsreform effektiv durchgesetzt hat, während er beim Bundespräsidium einiges darüber hinaus denkt.

Kritik
Führung, Handlungsfähigketi unter Druck, Entlastung der BundesrätInnen von der Tagesarbeit sind die zentralen Motivationen, die den Autor angetrieben haben. Vorbildlich ist seine sehr stringente Darstellung des Regierungssystems, seiner Wurzeln, seiner Stärken, aber auch seiner Schwächen. Die Reformen, die seit dem 19. Jahrhundert vorgeschlagen wurde, behandelt er bemerkenswert neutral, ohne am Ende seinen Standpunkt zu verleugnen. Man wünschte sich, dass das Buch in der deutschsprachigen Schweiz mehr rezipiert würde, denn es behandelt einen Kernbereich der Schweizer Staatswissenschaften.

Wenn man ein Bedenken platzieren soll, ist Jean-Luc Portmann etwas zu überzeugt, dass ein achter Bundesrat alles verbessern würde, was das Regierungssystem der Schweiz bisher nicht zustande gebracht hat. Das ist eine wohl zu magische Vorstellung von der Zahl der BundesrätInne, egal ob sie zu siebt sind oder zu achte wären.

Claude Longchamp