Datengetriebene Recherche und Umsetzung zwischen Journalismus und Aktivismus

Zum 3. Mal organisierten gestern Orell Füssli Wirtschaftsinformation und das MAZ, die Schweizer Journalistenschule, eine Tagung zum Datenjournalismus in der Schweiz. Anwendungsbeispiele standen im Zentrum des Interesses. Eine Schilderung meiner Lernings und Einsichten

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Illustration aus der unten verlinkten Kartenserie der NZZ

Meine wichtigste Erkenntnis des Vortrag(halb)tages war: Die Grenzziehung zwischen datengetriebenem Journalismus und Aktivismus ist fliessend.

Marek Tuszynski, mit Verve im TacticalTechnologyCollctive engagiert, machte dies am klarsten deutlich. Der Filmemacher unterstützt Nichtregierungsorganisationen in ihrem Kampf gegen das global ausdgerichtete Verbrechen. „Exposing the Invisible“ heisst das Projekt. „Our currency is information“ ist ein beispielhafter Kurzfilm, der in diesem Rahmen entstanden ist. Dabei geht es darum aufzuzeigen, wid internationale Finanzströme verlaufen, Briefkastenfirmen vernetzt sind, um nationale Gesetze zugunsten von Korruption zu umgehen oder Warenhandel jenseits von Deklarationspflichten zu organisieren. Wirkung ist beabsichtigte, Konflikte sind vorprogrammiert.

Einiges unpolitischer ist der Datenjournalismus in Schweizer Medien. Der Tamedia-Verlag hat das Eis gebrochen, aktuell ziehen andere Medienhäuser wie der NZZ-Verlag nach.

NZZdata hat diesen Sommer 20 Tage lang in Serie neue Gesichter der Schweiz produziert. 20 Karten sind so entstanden, von denen die meisten ungewohnte Bilder des Landes zeichneten, sei es, weil sie neue Informationen verwendeten oder bekannte Information neu versinnbildlichten. Teils standen die Karten mit Legenden allein in der NZZ, teils waren sie umgeben von ganzen Reportagen. Sylke Gruhnwald zeigte in ihrem Referat, dass das Interesse der Lesenden und Sehenden überdurchschnittlich vorhanden sei, machte aber auch deutlich, wie der start-up in der (Wirtschafts)Redaktion funktioniert. Denn er kämpft um Anerkennung, Stellenprozente und um Vermittlung von Text und Bild. Resultat sei, dass man noch nach bei der bekannten Infografik verharre. Im Sommer habe man Konjunktur gehabt, meinte sie, nicht zuletzt weil wegen mangelnder Textauslastung die Freiheit zum Visuellen in den Publikationen der NZZ-Gruppe grösser als üblich war. Dabei sei man auch schon an die Belastungsgrenze für MacherInnen und Medium gestossen.

Julian Schmidli gehört in der Schweiz zu den JournalistInnen, die den Datenjournalismus schon länger prägen. Für die Sonntagszeitung und LeTemps hat er verschiedene Reportagen und Hintergrundsberichte inspiriert, recherchiert angetrieben. Eindrücklich waren vor allem die Finanzströme bei der Vergabe öffentlicher Mandate durch die Bundesverwaltung. Die grafische Aufarbeitung der stark synthetisierten Information machte auf einen Blick klar, welche eminente Bedeutung beispielsweise die Verkehrsausgaben dabei haben, aber auch, welche Unternehmungen davon profitieren. (Unsinnigerweise ist der Beitrag auf Internet allerdings nur ohne Visualisierung einsehbar).

Schmidlis Erfahrungen kontrovers diskutierte Erfahrungen zeigten auch, wo Problematiken des Datenjournalismus liegen, selbst wenn man keiner politischen Bewegung verpflichtet ist. Nicht nur Daten treiben die Recherche, auch die journalistischen Massstäbe heizen sie an. Komplexität muss nicht nur aufgearbeitet, sondern auch systematisch reduziert werden. Und der Tendenz zur Objektivierung von Masseninformationen mittels Diagrammen steht der journalistische Zwang zum Runterbrechen auf das Beispiel hinter dem Muster gegenüber. Eine datenjournalistische Arbeit sei dann gut, meinte der Referent, wenn der Mensch mit seiner Geschichte das Ergebnis in seiner Darstellung ins Zentrum gerückt werden könne.

Neuerdings öffnet sich auch die Politikwissenschaft dem Datenjournalismus, indem beispielsweise politische Landschaften kartografiert, aber auch Netzwerke von Akteure in der Politik transparent gemacht werden, die auf komplexen Informationen basieren. Man kann gespannt sein, was der Master in Datenjournalismus, der diese Woche am Institut für Politiukwissenschaft an der Uni Zürich beginnt, hier an Forschungsergebnissen bringen wird. Ich werde mich im nächsten Herbst da ebenfalls einbringen!

Claude Longchamp

Die Tagung hier auf den NSN mitverfolgen.