In zwei Wochen sind eidgenössische Volksabstimmungen. Entschieden wird über die Abschaffung der Wehrpflicht, die Neuregelung des Verkaufssortimentes in Tankstellenshops und das Epidemiengesetz. Mit welchen Ausgängen der Volksentscheidungen kann man rechnen?
Instrumente
Etabliert sind Abstimmungsumfragen; den Standard in der Schweiz setzen im Abstimmungskampf die SRG-Umfragen. Sie basieren auf einer zweifachen Erhebung von Stimmabsichten und Argumentebewertungen bei einem repräsentativen Kreis von 1200 resp. 1400 Stimmberechtigter, die mittels Telefoninterviews befragt werden.
Bezieht man sich auf die 1. (von 2) Wellen, wird die Abschaffung der Wehrpflicht abgelehnt, das Epidemiengesetz eher angenommen, und ist die Entscheidung zu den Tankstellenshops (noch) offen.
SRG-Trendbefragung / gfs.bern
Wehrpflicht: 35:57 (8)
Tankstellenshops: 46:47 (7)
Epidemiengesetz: 49:39 (12)
Zielmlich regelmässig veröffentlicht auch die Zeitung “20 min” das Ergebnis einer grossen LeserInnen-Befragung, realisiert via die online-Plattform des Mediums. Beeindruckend ist jeweils die Befragtenzahl; ein Anspruch auf Repräsentativität wird indessen nicht erhoben, weil es keine systematische Auswahl an Befragten gibt.
Die eben veröffentlichen Werte der neueste Erhebung lassen die Schlüsse zu, dass die Aufhebung der Wehrpflicht scheitert, das Epidemiengesetz eher angenommen als abgelehnt wird, während die Verkaufregelung zu Tankstellenshop eine klare Mehrheit fände.
20 min online Befragung
Wehrpflicht: 41:55 (4)
Tankstellenshops: 67:28 (5)
Epidemiengesetz: 48:33 (19)
Ebenfalls wiederkehrend sind zwischenzeitlich Prognosemärkte, die nach dem Börsenprinzip funktionieren. Virtuell gehandelt werden dabei Aktien, deren Kurswert dem Prognosewert der Abstimmung entspricht. Unterschieden wird zwischen offenen Prognosemärkten, wo im Prinzip jede und jeder mitmachen kann (z.B. Wahlfieber), und geschlossenen, bei denen nur Experten eine Prognose abgeben. Politikprognosen veröffentlicht solche Vorhersage, basierend auf einem geschlossenen Panel.
Demnach scheitert die Aufhebung der Wehrpflicht, wird das Epidemiengesetz angenommen, und die Liberalisierung der Tankstellenshop steht bei halbe/halbe.
Politikprognosen
Wehrpflicht: 35:65
Tankstellenshops: 50:50
Epidemiengesetz: 67:33
Zu den neuesten Versuchen der Abstimmungsvoranalyse zählt ein Prognoseverfahren, entwickelt für den Blog von Oliver Strijbis, der auch den erwähnten Prognosemarkt betreut. Die erstmals verwendete Prognoseregel basiert auf den SRG-Daten seit 2008, nimmt aber nicht zum Nennwert, sondern projiziert sie bereits frühzeitig auf den Abstimmungstag.
Folgt man politikprognosen, wird die Wehrpflicht abgelehnt, während die Verkaufszeiten der Tankestellenshop eher nicht geändert würden, und das Epidemiengesetz eher eine Mehrheit fände.
50plus1
Wehrpflicht: 32:68
Tankstellenshops: 47:53
Epidemiengesetz: 53:47
Vergleiche
Gänzliche Einigkeit herrscht also nur in einem Fall – nämlich bei der Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht; alle vier Instrumente gehen von einem Scheitern der Volksinitiative aus. Das entspricht notabene auch der Erfahrungsregel, wonach Initiativen scheitern, wenn sie (wie die der GSoA) parteipolitisch stark zwischen Links und Rechts polarisieren.
Einigermassen einig ist man sich beim Epidemiengesetz, das gemäss Erhebungen und Vorhersagen durchgehen dürfte, wenn auch eher knapp. Ein Ausreisser findet sich hier aber bei Politikprognosen, denn demnach wird die Vorlage klar angenommen.
Weit auseinander liegen die Annahmen zur Liberalisierung Verkäufe in Tankstellenshops: “20 min” sieht das Ja klar in der Mehrheit, die erste SRG-Umfrage lässt den Ausgang offen, ebenso der Prognosemarkt. 50plus1 rechnet gar man mit einem knappen Nein.
Diskussion
Wenn bei der Tankstellenvorlagen die beiden Umfragen arg differieren, hat das aller Voraussicht nach mit dem differierenden Publikum zu tun: Bei den SRG-Befragung ist es ein repräsentativer Querschnitt der stimmberechtigten Bevölkerung; bei “20 min” die Leserschaft der Online-Plattform, die eine klare Affinität zu jungen Menschen hat.
Schwierig zu erörtern ist die grösser Differenz beim Epidemiengesetz zwischen den Umfragen einerseits, dem Prognosemarkt anderseits. Hauptsgrund ist hier, dass politikprognosen.ch keinen Einblick gewährt in die Zahl und Zusammensetzung des ExpertInnen-Panels. Das macht die Qualifizierung der Aussagen unmöglich.
Uebrigens: Diese Woche erscheint die zweite Welle der SRG-Trendbefragungen. Es wird sich weisen, welche Veränderungen der Ausgangslagen die Abstimmungskämpfe gebracht haben. Die Aufdatierung der Momentaufnahmen erscheint am Mittwochabend.
Claude Longchamp
Lieber Herr Longchamp,
herzlichen Dank, dass Sie auf meinen Blog-Eintrag verwiesen haben. Mir war gar nicht bewusst, dass ich gegen Ihre Umfragen gestichelt habe. Aber nach nochmaligem Durchlesen muss ich zugeben, dass man das tatsächlich so verstehen konnte. Ich werde dafür in einem meiner nächsten Einträge thematisieren, dass Ihre zweite Befragungswelle (für uns leider) nach wie vor noch genauere Vorhersagen erlaubt als der Prognosemarkt.
Beste Grüsse,
Oliver Strijbis
Ein kleiner Kommentar zur Evaluierung:
Erstens, die Prognosen sind besser als die Umfragen. Ueberraschend ist das nicht, denn es ist der Sinn der Umrechnung, dass Umfrageergebnisse, wie auch immer, bewertet werden.
Zweitens, Repräsentativ-Befragungen sind zuverlässiger als Online-Erhebungen ohne Anspruch auf Repräsentativität. Auch ist entspricht den Erwartungen, überrascht als nicht.
Drittens, nimmt man die Werte der zweiten Befragung für die SRG, sind Umfragen und Prognosen praktisch gleich gut, 50plus1 hatte das Problem, bei den Tankstellenshop ein Nein zu suggerieren, die Umfrage liess es offen.
…. was zwar nicht beweist, dass Umfragen und Prognosen sinnlos sind, meiner meinung nach aber schon. Indirekt bezahlen wir dies selbst, obwohl die lediglich so was wie Voyeurismus ist.