LobbyistInnen in der Lobby massgeblich?

Die Ringier-Presse hat es übers Wochenende aufgebracht: Es gibt einen Missstand mit dem Lobbying in der Lobby des eidgenössischen Parlamentes. Die Analyse, die präsentiert wird, greift allerdings viel zu kurz, um dem Phänomen Lobbying gegenüber dem eidgenössischen Parlament gerecht zu werden.


Uebersicht über die identifizierten Lobbyisten unter den MitarbeiterInnen des eidgenössischen Parlaments vor und nach 2007 gemäss Sonntagsblick

Jede(r) ParlamentarierIn in der Schweiz hat die Möglichkeit, zwei Vertrauten direkten Zugang zum Parlament zu verschaffen. Vorgesehen war dies ursprünglich, engen MitarbeiterInnen einen reibungslosen Kontakt mit ihren National- oder StänderätInnen zu gewähren. Nun hat nur eine Minderheit der ParlamentarierInnen direkte Mitarbeitende zur Seite. Andere ziehen hierfür Familienmitglieder zu Rate, und Dritte schliesslich bevorzugen es, sich drekt mit InteressenverteterInnen kurz zu schliessen. Entsprechend bunt zusammengesetzt ist die Liste der Personen mit einem privilegierten Zugang zum Parlament.
Die Liste erscheint übrigens nicht zu ersten Mal, wenn auch jetzt aufdatiert mit den Mutationen seit der letzten Parlamentswahl. Das macht sie als Dokument nützlich.

Der Stand des Lobbyings, der damit präsentiert wird, ist allerdings wenig nützlich. Er reduziert das Phänomen “Lobbying” in der journalistisch üblichen Weise auf die Interaktion von ParlamentarierInnen und Interessengruppen in der Lobby des Parlaments. Das Motto dahinter ist: “Je näher die Lobbyisten am Ort der Entscheidung sind, desto einflussreicher sind sie.”

Untersuchungen des Lobbyings legen nahe, dass das höchstens in Ausnahmefällen zutrifft. Nämlich dann, wenn die Mehrheiten im Parlament nicht klar sind, sich erst während Beratungen oder Schlussabstimmungen ergeben. Zwar hatten wir in jüngster Zeit einige solche Entscheidungen, doch ist das kein Indiz für den Einfluss des Lobbyings.

Erfolgreiche Einflussnahme auf parlamentarische Entscheidungen setzt nämlich nicht auf den Moment der Abstimmung unter der Bundeskuppel beschränken. Wirksames Lobbying ist permanent und prozessbegleitend. Entsprechend unterscheidet man alleine schon auf der Ebene des Parlaments mindestens zwischen Lobbying als

. aufbauende Beziehungspflege
. Gedankenaustausch mit VertrerInnen Politik
. Begleitung der Kommissionarbeit mit Entscheidungshilfen und
. Begleitung der Kammernarbeit bei Entscheidungen.

Auch die präsentierten Zahlen zur Zunahme der Lobbyisten sind nicht sehr aussagekräftig. Relevant ist letzlich vor allem das Statement von Freddy Müller, dem Präsidenten der Lobbyisten-Vereinigung in der Schweiz, das er dem Sonntagsblick gab. Er spricht von rund 250 professionellen Lobbyisten, die sowohl gegenüber dem exekutiven und legislativen Entscheidungssystem Einfluss nehmen, wobei sich aktuell eine Verlagerung weg von Regierung und Verwaltung hin zu Stände- und Nationalrat abzeichnet. Dort ist der strategische Wert der ParlamentarierInnen am grössten, die in einem Politikbereich mehrheitsbildend sein können. Sie finden sich häufig im Zentrum, am stärksten in der CVP-Fraktion. Das haben die Interessengruppen schon längst bemerkt, weshalb die Zahl der Lobbyisten im Vorfeld dieser Fraktion seit Herbst 2007 auch stark gestiegen ist.

Claude Longchamp

weiterführende Literatur:
Othmar Baeriswyl: Lobbying in der Schweiz, Villards-sur-Glane 2005
Robert Purtschert: Marketing für Verbände und weitere Non-Profitorganisationen, Haupt-Verlag 2005, 2. Auflage