Parteien in Kantonsregierungen – Bilanz und Analyse

In Neuenburg kippte die vormals rechte Regierung nach links. SP und SVP legten zu; die FDP verlor innert vier Jahren zwei ihrer drei bisherigen Sitze. Zufall oder System?

Die neuen Uebersichten
Zwei interessante Statistiken habe ich der gestrigen Tagespresse entnommen, um den Politikwechsel im Jurakanton einzuordnen:

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Die “BernerZeitung” (nicht auf dem web) zählte aufgrund einer Dokumentation beim ZdA die gewählten RegierungsrätInnen in allen Kantonen nach Parteien zusammen. Demnach führt die FDP mit 43 Sitzen die Rangliste der Regierungsparteien an. An zweiter Stelle befindet sich die CVP mit 38 Mandaten, gefolgt von der SP mit 33 Sitzen, der SVP mit 21, der GPS mit 10 und der BDP mit 4. Wichtiger noch sind die Trends: Klare Verliererin der letzten zwei Jahrzehnte ist die CVP, gefolgt von der FDP, während SP und SVP zulegen konnten.

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Anders der “Bund”: Da wurden, aufgrund einer Datenbank bei sotomo die Sitze nach Bevölkerungsstärke der Kantone gewichtet. Siehe da: Mit der Neuenburger Wahl löste die SP die FDP als stärkste Kraft in alle Kantonsregierungen ab, es reihen sich CVP, SVP, GPS und BDP in der Folge ein. Auch die Trends variieren, denn die SP- und GPS gewinnen über die Zeit hinweg an Gewicht, ebenso die BDP, während alle anderen verlieren.

Beide Vorgehensweisen haben ihre Berechtigung. Sie zeigen entweder die politische Repräsentation auf, oder die statistische. Denn die Methode “Bund korrigiert unerwünschte Effekte durch unterschiedliche Grössen der Regierungen genauso wie sie die Ueberrepräsentation bevölkerungsschwacher Kanton in der BZ Uebersicht reduziert. Einges spricht deshalb für das Vorgehen von Michael Hermann, der die Grafik im Bund erstellt hat. Allerdings kann ich begrifflich dem Kolumnisten nicht folgen. Denn ich zweifle, dass es ein wachsendes linksbürgerlichen Spektrum gibt, das aus Prinzip SP und Grüne bei Parlamentswahlen links liegen lässt, aber mithilft, ihre KandidatInnen für Regierungsämter in Position zu bringen.

Die Analyse der neuen Konfliktlinien
Vom Bürgerblock sprach man in der Schweiz nach 1929, als die Vormachtstellung des Freisinns zerbrochen war und durch eine Allianz aus FDP, Katholischer Volkspartei (der Vorläuferpartei der CVP) und BGB (die Vorgängerin der SVP) ersetzt wurde, um den Bundesrat zu stellen. Mit Einführung der Zauberformel verschwand der Kampfbegriff zusehends; die Rede war eher vom bürgerlichen Lager. Seit den 90er Jahren macht aus das immer weniger Sinn, denn das bürgerliche Lager ist in Auflösung begriffen. Es ist Links- und Rechtsbürgerlichen zu differenzieren – eher der Alltagssprache der PolitikerInnen entlehnt, als eine wissenschaftlich anerkannte Kategorisierung – macht die Sache nicht besser.

Vielmehr legt die Analyse der Veränderungen in der parteipolitischen Tektonik eine neue Einteilung nahe. Die Eindimensionalität des Parteienspektrum, organisiert an der Verteilungsfrage, repräsentiert durch Weltanschauungen der Markt- und Staatswirtschaft, getragen vom Gegensatz zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft, ist schrittweise aufgebrochen: Zuerst an die Oekologiefrage, die in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts zu zwei grösseren Linksparteien führte, die weltanschaulich beide einem sozialökologischen Kurs folgen, dann durch die Europäisierung der Schweizer Politik, mit der das vormals bürgerliche Lager in einen aussen- und einen binnenorientierte Fraktion gespalten bleibt. Oder anders gesagt: Politik kann nicht mehr auf das alte Links/Rechts-Schema reduziert werden, muss Verteilungsfragen und Kulturkonflikte berücksichtigen.

Elektoral hat das vor allem der SVP als klarster nationalkonservativer Kraft genützt – jedenfalls bei Parlamentswahlen. Die Veränderungen sind auf nationaler Ebene spektakulär; es gibt sie abgeschwächt aber auch auf kantonalem Niveau. Gelitten hat vor allem die CVP, beschränkt auch die FDP. Die linken Parteien erstarkten insgesamt, die Effekte sind aber seit Mitte der 00er Jahre auslaufend. Grund dafür ist die Abspaltung der GLP, die eine ökoliberale Position einnimmt, sich für den geordneten Ausstieg aus der Kernenergie ausspricht, wirtschafts-, finanz- und sozialpolitisch aber in der Mitte politisiert. Den Aufstieg der SVP gebremst hat die BDP, die auf bürgerlicher Basis politisiert, auf Machtpolitik aber verzichtet und offen für sachpolitisch neue Allianzen ist. Das gilt seit längerem auch für die EVP, gesellschaftspolitisch konservativ, umweltpolitisch indes auf Nachhaltigkeit ausgerichtet.

Vergleicht man nun gewichtete Parteistärken in den Kantonen auf Parlaments- und Regierungsebene, ist die Linke nicht mehr untervertreten, wie das bis in die 90er Jahre hinein der Fall war. Vielmehr stimmt ihr Regierungsanteil recht gut mit dem Kräfteverhältnissen der ökologisch aus gerichteten Parteien überein. Bezahlt haben diesen Politikwechsel namentlich die konservativen Parteien. Bei der SVP führt dies zu einer Untervertretung im in Regierungen, denn ihr Erstarken mit neuen Themen in den Parlamenten wurde durch Ausgrenzung von Links bis Mitte/Rechts quittiert. Selbst hat sie gelernt damit umzugehen, die Konkurrenz zu attaktieren, womit sie sich aber noch mehr isoliert hat. In den Kantonen vergleichsweise übervertreten sind die FDP und CVP, wobei der Rückgang bei dieser früher und deutlicher einsetzte, der Trend nun auch jene erfasst.

Wo bürgerliche Allianzen bei Regierungsratswahlen funktionieren, reicht das immer noch für Mehrheiten. Nur ist das selten geworden. Was sachpolitisch in den Parlamenten durchaus noch Sinn macht, scheitert oft schon in Volksabstimmungen, ganz sicher aber bei Regierungswahlen, denn da gehen die Interesse, selber im Schaufenster der Medien zu stehen, oft vor. Genau das aber verringert die Allianzfähigkeit, einem der entscheidenden Faktoren im Majorzwahlrecht, wie es bei den meisten Regierungsratswahlen zur Anwendung kommt, namentlich dann, wenn Regierungs- und Parlamentswahlen gleichzeitig ausgetragen werden.

Die Schlussfolgerung: Was bestimmt Regierungsratswahlen neuerdings?
Nicht ein linksbürgerliches Spektrum ist entstanden, das Parlaments- und Regierungswahlen unterschiedliche beenflussen würde: Vielmehr haben sich die Allianzbildungen, bis zum Ende des Kalten Krieges durch die klaren Links-/Rechts-Polarität im hergebrachten Sinn bestimmt, verändert. SP und GPS sind zwar Konkurrenten bei Parlamentswahlen, bei Regierungswahlen spannen sie aber fast durchwegs zusammen. Anders auf der rechten Seite. Die Fronstellung gegen den Sozialismus versagt, vor allem aus inneren Gründen, denn die Spaltung der rechten Parteien entlang der neuen kulturellen Konfliktlinie wirkt nach. Es kommt hinzu, dass sich die Parteienlandschaft verändert hat, wie die kleinen Parteien ohne klare Lagerzuordnung zeigt. Aktuell ist der Ausstieg aus der Kernenergie als eines der grossen Zukunftsprojekte mitbestimmend, was man bei Regierungsratswahlen wählt, und damit auch wem man seine Stimmen gibt.

Solange die Angebote von links solche Erwartungen der Wählenden bedienen und jene von rechts die aufgezeigten Schwächen behalten, ist nicht mit einer Abkehr von den Entwicklungen, wie sie in Neuenburg, aber auch anderswo zum Ausdruck kamen, zu rechnen. Testfall könnten die Wahlen im Kanton Bern werden, wo GLP und EVP angekündigt haben, der linken Mehrheit in der Regierung und der rechten Minderheit einen Zwischenblock gegenüber zu stellen.

Claude Longchamp