Prognose der eidg. Wahlen 2015

HistorikerInnen seien PrognostikerInnen der Vergangenheit, frotzeln SozialwissenschafterInnen gerne. Ein Blick auf die Wahlvorhersagen der PolitikwissenschafterInnen in der Schweiz zeigt, dass sie recht selten sind. Grund genug, der Prognose der National- und Ständeratswahlen 2015 mein Forschungsseminar auf Masterstufe am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern zu widmen.

Die GrundlagenforscherInnen überlassen Prognosen gerne der Anwendungsforschung, obwohl Karl R. Popper einst meinte, wer einen Sachverhalt gut erklären könne, könne ihn auch prognostizieren. Das war noch ganz im Denken des deduktiv-nomologischen Wissenschaftsverständnisse, wie es aus den Naturwissenschaften, insbesondere der Physik, stammt. Zwischenzeitlich sind die Sozialwissenschafter etwas vorsichtiger geworden. Es herrscht das deduktiv-stochastische Verständnis von wissenschaftlicher Forschung vor: Hergeleitet werden Zusammenhänge nicht nur aus gedanklichen Konzepten, die Erklärungen wie Vorhersagen gleichermassen erlauben, sondern aus verallgemeinerungsfähigen Beobachtungen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit und einer beschränkten Offenheit erlauben, Aussagen zur (nahen) Zukunft zu machen.

Nun hat die Wahlforschung insbesondere in den USA in den letzten 8 Jahren rasante Fortschritte gemacht, gerade was Wahlprognosen betrifft. Zu den bekannte Umfragen sind Wahlbörsen hinzu gekommen, ebenso arbeitet man mit Modellrechnungen und Expertenpanels, wenn es um die Vorhersage beispielsweise der amerikanischen Wahlen geht. Die Leistungsschau lässt sich sehen: Verschiedene Protagonisten des Metiers kannten den Wahlsieger, seine Elektorenstimmen und seinen Wähleranteil weit im Voraus ganz genau, oder sie mussten sich nach der Wahl mit nur minimalen, letztlich irrelevanten Abweichungen auseinandersetzen.

Ist das auch in der Schweiz möglich, wenn es um National- und Ständeratswahlen geht? Genau das ist die Fragestellung meines nächsten Forschungsseminars an der Uni Bern, das ich im Rahmen des Masters für schweizerische und vergleichende Politik im Herbstsemester 2013 anbieten werde. Bezugspunkt für die Prognose sind die Parlamentswahlen 2015.

Im Seminar wird zuerst der Benchmark der Wahlprognosen in Politikwissenschaft, Oekonomie, Medienwissenschaft, Geschichte und Statistik erarbeitet. Dann werden die wenigen Wahlprognosen in der Schweiz einer kritischen Würdigung unterzogen, so ihrem theoretischen und empirischen Hintergrund. Darauf aufbauend formulieren die Studierenden Projekte, welche zu Verbesserungen in der Wahlprognose zu Schweizer Wahlen versprechen. Es werden die bestens 3-5 Vorschläge ausgewählt, die in der Folge als Gruppenarbeiten ausformuliert werden, und zwar in methodischer und datenmässiger Hinsicht. Die Arbeitsgruppen müssen bis Ende Semester zeigen, was für Vorhersagen sie damit 2011 (oder noch früher) gemacht hätten und, als Kernaufgabe, wie die Vorhersage für 2015 lautet.

Denkbar sind Prognosen zur Wahlbeteiligung, zum Stimmenanteil aller oder einzelner Parteien und zur Sitzverteilung im National- und Ständerat in einzelnen Kantonen oder gesamtschweizerisch. Minimal wird erwartet, eine zutreffende Aussage zu Gewinner und Verlierer zu machen, maximal auch quantitativ zutreffende Angaben. Dabei können Trendextrapolationen und Szenarientechnik angewandt werden. Im Herbst 2015 werden wir dann überprüfen können, was davon stimmte (und falls nicht lernen können, was man noch besser machen kann).

Ich hoffe, damit eine Schritt zurück zur ursprünglichen Motivation zu machen, warum man Sozialwissenschaften betreibt, nämlich die Fähigkeit zu entwickeln, Entwicklungen und Ereignisse vorher zu sehen, die, nicht zuletzt mit der empirischen Ausrichtung der Fächer weitgehend auf die Aufgabe reduziert wurde, Erklärungen für jüngst Vergangenes anzubieten.

Gefordert werden alle sein, die Studierenden und der Dozent.

Claude Longchamp