Der Kanton Zürich analysiert sich selber

Das statistische Amt des Kantons Zürich hat die Analyse von Gemeindedaten bei Volksabstimmungen am weitesten entwickelt. Das zeigt auch die bereits gestern vorgelegte Untersuchung der Resultate zu den Volksabstimmungen vom letzten Wochenende.

Peter Moser vermisst den Kanton Zürich berufeshalber. Der Politikwissenschafter stützt sich dabei auf die amtlichen Gemeindedaten, die er mit hoher Fertigkeit interpretiert. Aufgrund der Unterschiede zwischen den Gemeinden hat er ein Raster entwickelt, um gesellschaftlichen und weltanschauliche Einflüsse in den Abstimmungsergebnissen schätzen zu können, ohne sich dabei auf die üblicherweise verwendeten Umfragen stützen zu müssen.

Gesellschaftliche Einflüsse unterscheidet der Statistiker zwei: die Urbanität und den Status. Ebenso geht er von zwei relevanten weltanschaulichen Einflüsse aus: die nationalkonservative und die Markt-Ideologie. Gerechnet wird mit multivariaten Verfahren, sodass die Bedeutung der Einflussfaktoren untereinander bestimmt werden kann, ohne dass dabei feste Prozentwerte entstehen, wie gross die Zustimmung oder Ablehnung war.


Quelle: Kanton Zürich, Statistisches Amt: statistik.info 2013/01, eigene Drstellung
Lesebeispiel: Die Prozentwerte sind keinen Angaben zum Stimmverhalten, sondern zur Bedeutung der Faktoren in der Erklärung der räumlichen Unterschiede. Faktoren, die keinen eigenständigen Erklärungsbeitrg leisten, sind nicht signifikant.
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Moser folgert, der Familienartikel wurde in erster Linie aus weltanschaulichen Gründen abgelehnt. Je intensiver eine Gemeinde durch eine nationalkonservative Wählerschaft geprägt wird, desto eher lehnte sie die Vorlage ab. Umgekehrt, je urbaner eine Gemeinde ist, desto eher war sie dafür. Zweiteres erklärt aber weniger als Ersteres, zusammen kann man 83 Prozent der Gemeinderesultate so erklären. Nicht signifikant ist der Einfluss der anderen geprüften Faktoren.

Ganz anders ist das Profil der Gemeinderesultate bei der Abzocker-Initiative, die er zu 71 Prozent erklären kann. Gesellschaftliche und weltanschauliche Einflüsse sind dabei etwas gleich stark. Bei den Gesellschaftlichen dominiert der Status: Je wohlhabender die Gemeinden sind, desto eher stimmten sie gegen die Vorlage, je ärmer, desto eher dafür. Davon unabhängig signifikant bleibt der Stadt/Land-Gegensatz von Belang, denn auf dem Lande war die Zustimmung höher als in der Stadt. Weltanschaulich polarisierte die Vorlage auf der Staat/Markt-Dimension. Je mehr eine Gemeinde von einer Wählerschaft geprägt wird, die für Marktwirtschaft ist, desto eher votierte sie ablehnend, und umgekehrt. Der Grad an Nationalkonservatismus ist hier nicht signifikant.

Das Gemeindebild bei der Raumplanung erklärt sich aufgrund eines Mixes der Analyse bei den beiden anderen Vorlagen: Alles bestimmend war der Faktor nationalkonservativ, den die Ablehnung geht mit genau damit einher. Minimal von Belang sind die gesellschaftlichen Einflüsse, stimmten doch arme Gemeinden etwas vermehrt gegen das neue Raumplanungsgesetz.

Die Befunden bestätigen im Wesentlichen, was unsere Erstanalyse vom Sonntag Abend für die gesamte Schweiz ergeben hatte:

Sie zeigte insbesondere beim Familienartikel einen starken Zusammenhang mit dem Indiviudalisierungsgrad einer Region: Je mehr Menschen in einer Region ausserhalb traditioneller Familienformen leben, desto eher war diese dafür. Auch Moser interpretiert sein Ergebnis zum Einfluss des Urbanitätsgrades entsprechend. Klar war am Sonntag auch, dass die parteipolitische Aufladung der Vorlage im Abstimmungskampf ihre Wirkung nicht verfehlt hatte. Gleiches gilt für die Raumplanung, die letztlich ein weltanschaulich bekämpft wurde, wobei es mit Ausnahme des Kantons Wallis dabei blieb, sodass exemplarische gesellschaftlichen Einflüsse die Ablehnung nicht verstärkten.

Profilierter als noch am Sonntagabend fällt das Ergebnis im Kanton Zürich bei der Abzocker-Initiative. Das hat dürfte mit der klareren Position der SVP im Kanton zu tun haben, deren Ja-Empfehlung einfacher zu vermitteln war als das Nein auf Bundesebene. Entsprechend kommt das nationalkonservative Element im Zürcher Ergebnis besser zum Ausdruck.

Man kann das auch so zusammenfassen: Die Analyse von Dimensionen im Abstimmungsergebnissen ist zwar limitiert, liefert aber robuste (und durchaus vernünftig) interpretierbare Resultate. Für die Vermittlung bleibt einschränken, dass Aussagen mit Zustimmungs- und Ablehnungsraten in bestimmten Gruppen ausbleiben müssen.

Vielleicht ware es, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf, im Fazit konsequenter gewesen, keine Evaluierunng der SVP-Parolen zu den Vorlagen vorzunehmen, denn dies bleibt mit dieser Methode und der vorlegten Analyse letztlich spekulativ.

Claude Longchamp