Referendum zur Personenfreizügigkeit nur wegen Facebook?

Seit Weihnachten 2008 diskutiert man im Bundesrat und rund herum, ob die Volksrechte im Zeitalter des Cyberspace angepasst werden müssten oder nicht. Jetzt sorgt eine neue Information in der Gratiszeitung “20 Minuten” für zusätzlichen Zündstoff. Schweres Geschützt wird aufgefahren; dabei sollte man die bisherige Sammelpraxis von Unterschriften nicht idealisieren.



Der aktuelle Fall

Der Regierungssprecher Oswald Sigg äusserte sich vor kurzem negativ über die Folgen des world wide web auf die direkte Demokratie. Der anfänglich Optimismus war verfolgen, wonach das Internet der Regierungsinformation und -kommunikation neue, positive Möglichkeiten eröffne. Die neuerliche Skepsis ausgelöst hattte die Beobachtung, dass es heute virtuellen Gruppen gelinge, Unterschriften für Initiativen und Referenden zu sammeln. Der ursprüngliche Gedanke des meinungsbildenden Bürgergesprächs, das mit der Unterschrift bestätigt werden, verkomme nun ganz.

Nun melde die Gratiszeitung “20 Minuten in ihrer Online-Ausgabe, das Referendum zur Personenfreizügigkeit, an dem sich mitgliederstarke Organisationen wie SVP und AUNS nicht beteiligten, sei nicht nur dank der Sammelkunst von Lega, Schweizer Demokraten und Junger SVP zustande kommen. Wesentliches beigetragen hätten auch online-Plattformen wie “Facebook”.

Lukas Reimann bestätigt: «Ohne Facebook hätten wir wohl nicht genügend Unterschriften zusammengebracht», Mitinitiant des Referendums gegen die Personenfreizügigkeit, unumwunden zu. Es seien mehrere Tausend Download-Unterschriftenbogen eingereicht worden. «Über Facebook und unsere Webseite konnten wir zudem spontane Unterschriftensammlungen organisieren.» Daran beteiligten sich laut Reimann auch Personen, welche sich vorher nie politisch betätigt hatten.

Die Reaktion der Behörden
Darauf reagiert nun die Bundeskanzlei. Denn sie hat beobachtet, «dass Referenden immer schneller zu Stande kommen – auch wenn nur ein virtuelles Komitee dahinter steht», erklärte Bundesratssprecher Oswald Sigg heute gegenüber 20 Minuten Online. Mögliche Massnahmen sei die Erhöhung der Unterschriften oder eine Verkürzung der Sammelfristen.

Sigg begründet das wie folgt: «Anonymität ist in der ursprünglichen Anlage der direkten Demokratie nicht enthalten.» Würden Unterschriften ganz über Online-Plattformen gesammelt, verschwinde sowohl die öffentliche wie auch die direkte Debatte zwischen Befürwortern und Gegnern, zwischen AktivistInnen und BürgerInnen.

Vorsicht vor Verkürzungen
Das Thema ist ernst, ohne ganz neu zu sein. Denn auch die Bezahlung von UnterschriftensammlerInnen, die nicht aufgrund ihrer Ueberzeugung, sondern wegen des Geldes die nötigen Signaturen beibringen, entspricht nicht dem direktdemokratischen Ideal. Sie ist aber erlaubt. Und viele Komitees, die Erfahrungen mit Unterschriftensammlungen haben, geben hinter vorgehaltener Hand zu: Auf der Strasse bringt man nur eine Minderheit von Unterschriften zusammen. Adresskarteien mit unterschriftswilligen BürgerInnen sind heute wichtiger. Und verwendete man schon vor dem Internetzeitalter, um mittels Postwurf Volksrechte zu lancieren.

Schlimmer noch: Verkürzt man die Sammelfrist, werden alle Organisationen, die Volksrechte nutzen wollen, gezwungen sein, unerwünschte Methoden anzuwenden, um zum Ziel zu gelangen.

Claude Longchamp