Was uns Medienanalysen in Abstimmungskämpfen bringen – und was nicht.

Erstmals haben wir im Rahmen der Berichterstattung zu den SRG-Trendfragen auch den Abstimmungsmonitor des Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) verwendet. Zeit eine erste Zwischenbilanz zu ziehen.

Die Kernaussagen der aufdatierten fög-Medieninhaltsuntersuchung lauten: Die drei Vorlagen kennen einen unterschiedliche Resonanz, die Abzocker-Initiative führt, über den Familienartikel findet die geringste Berichterstattung fest. Bei der Raumplanung überwiegen die positiven Artikel (in den Leadmedien der deutsch- und französischsprachigen Schweiz), bei den beiden andern Vorlagen ist, übers Ganze gesehen, keine Tendenz erkennbar. Das wird anders, teilt man den Abstimmungskampf in Phasen auf.


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Die zentrale Erwartung solcher Untersuchungen ist, dass sich der Medientenor auf die Meinungsbildung namentlich unschlüssiger BürgerInnen auswirkt. Die Erfahrungen, die wir sammeln konnten, zeigen, dass das nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig ist. Die Chance, dass die Medienberichterstattung die Meinungsbildung der Bevölkerung beeinflusst, hängt nicht nur von der Richtung der Berichterstattung ab, vielmehr ist auch die Intensität wichtig.

Beim Raumplanungsgesetz ist beides gegeben: gerichtete Berichterstattung und mittlere Intensität. In der Tat zeigt die Analyse der Meinungsbildung der teilnahmewilligen BürgerInnen einen vergleichbaren Trend. Die verbreitete Unschlüssigkeit hat sich verringert, und zwar in beide Richtungen, zum Ja eher mehr als zum Nein. Das hat die vorteilhafte Ausgangslage für das Ja insgesamt nicht verändert.

Bei den beiden anderen Vorlagen sind die Effekte weniger eindeutig – mit Grund meine ich: Die Intensität der Medienberichterstattung ist das schlicht zu gering, um Wirkung zu entfalten. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass die auf Politmarketing aufbauende Kampagnen der Nein-Seite von Belang ist, denn die anfänglich klar positiven Stimmabsichten sind in erheblichem Masse getrübt worden. Das “Extrablatt” der SVP zeigt Wirkung im rechtsbürgerlichen Umfeld, aber auch bei parteiungebundenen BürgerInnen und älteren Menschen. Darüber hinaus sind kaum Einflüsse nachweisbar, sodass eine im politischen Spektrum eingrenzbarer Meinungswandel eingesetzt hat, der das Nein markant ansteigen liess, wobei das Ja in der Mehrheit bleibt. Was weiter geschieht, muss offen gelassen werden. Würde sich der Trend fortsetzen, wäre ein Scheitern der Vorlage denkbar. Dafür bräuchte es wohl aber mehr als eine einmalige Aktion zur Lancierung einer Abstimmungskampagne. Letztlich wissen wir aber erst am 3. März 2013 mehr.

Nochmals anders liegt der Fall der Abzocker-Initiative. Hier wäre die Medienresonanz für Einflüsse sehr wohl gegeben, letztlich ist die mediale Bewertung der Initiative neutral. Richtungsmässige Einflüsse sind deshalb nicht zwingend zu erwarten. Letztlich ist die unüblich lange Phase, mit der über das Problem und seine Lösungen diskutiert wird entscheidend: Die jahrelange Thematisierung hat eine kritische Grundstimmung aufgebaut, die durch die schleppende Behandlung im Parlament noch befördert worden ist. Daraus entstanden ist die aktuelle Konstellation mit einer Verfassungsabstimmung über eine Initiative, gekoppelt mit einem Gegenvorschlag auf Gesetzebene, über den nicht direkt das Volk entscheidet.

Normalerweise würde man sagen, wirkt sich die Verlagerung der Perspektive vom Problem auf die Lösung des Problems gegen die Volksinitiative aus. Wenn dies, wie unsere Befragung nahe legt, nicht der Fall ist, liegt der Hauptgrund darin, dass der Optikwechsel nicht gelang. Das Problem, die Abzockerei, ist bevölkerungsseitig gross und ungelöst, so dass man ein Zeichen setzen muss. Die Nein-Kampagne hatte nicht einfach handwerkliche Fehler, sie fällt in ein Umfeld, das für sie ungünstig ist, und läuft gegen vorgefasste Meinung auf, die durch die aktuellen Ereignisse sicher nicht widerlegt, viel eher bestätigt werden. Das bleibt auch die letzte Waffe, die Drohung mit Nachteilen bei einem Ja meistens stumpf.

Fazit: Medieninhaltsanalysen helfen sehr wohl zu verstehen, was in den Massenmedien geschieht. Hierarchisierung von Abstimmungsvorlagen ist eine ihrer Wirkungen, die sie mittels Aufmerksamkeit steuern. Sie sind auch nützlich, weil sie aufzeigen, wie Medien ereignisorientiert Bewertungen vornehmen. Diese müssen sich aber bei weitem nicht eins-zu-eins auf die Bevölkerung übertragen. Kampagnen auf der einen Seite, Prädispositionen auf der andern kompensieren Medienwirkungen. Sei es, weil die Kampagnen intensiver sind als die Medienberichterstattung, oder weil die vorgefassten Meinungen wichtiger sind als Medienhypes.

Mir jedenfalls hat die Kombination geholfen, klarer zu sehen, was geschieht, und ich würde mir wünschen, man könnte dieses erstmalige Experiment fortsetzen, um an differenzierten Arbeitshypothesen zu Medien- und Kampagnewirkungen arbeiten zu können.

Claude Longchamp