Italien wählt, veröffentlicht keine Umfragen mehr und sagt doch, wer wie wahrscheinlich gewinnt

In den letzten 14 Tagen von der Wahl ist in Italien die Veröffentlichung neuer Umfragen rechtlich untersagt. Formell halten sich alle daran, informell wird die Restriktion mehr und mehr geschickt umgangen. Und das über neue Soziale Medien.

Was in Italien regulär erst im April 2013 hätte stattfinden sollen, wurde nach dem Rücktritt des parteilosen Ministerpräsidenten Mario Monti auf Ende Februar vorgezogen. So wählt unser südlicher Nachbar bereits in einer Woche die beiden Kammern des Parlaments neu.

Fünf Bündnisse stellen sich der Wahl:

• “Italia. Bene Comune”, eine Koalition von Mitte-Links-Parteien mit Pier Luigi Bersani als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten,
• die von Silvio Berlusconi organisierte Koalition verschiedener Mitte-Rechts-Parteien, formell angeführt von Angelino Alfano,
• das MoVimento 5 Stelle, bestehend aus dem Komiker Beppe Grillo,
• die Agenda Monti per l’Italia, eine zentristische Koalition, die sich für eine Weiterführung der bisherigen Regierung ausspricht, und
• die Rivoluzione Civile, eine gemeinsame Wahlliste mehrerer linker und liberaler Parteien mit Antonio Ingroia für das Amt des Regierungschefs.

Die letzten Umfragen, allesamt vom 8. Februar, gaben der Mitte/Links-Koalition im Schnitt 35 Prozent WählerInnen-Anteile. Mitte/Rechts kam auf zirka 30 Prozent, das “M5S” auf knapp 16 Prozent, und für die Allianz von Monti gab es 14 Prozent. Der Rest verteilte sich auf die Rivoluzioni und die übrigen Parteien.

Dabei gilt es zu berücksichtigten, dass diese Angaben unschlüssige WählerInnen nicht enthalten. Je nach Umfrage machten sie 10-15 Prozent aus. Das ist nicht unerheblich, denn in den letzten zwei Wochen kann gerade da noch einiges geschehen.

Nun hat sich (auch) in Italien neuerdings eingebürgert, nicht nur Parteistärken zu kommunizieren, sondern auch Wahrscheinlichkeiten für die Siegchancen zu berechnen. Statistik-Spezialisten leisten dies quasi als Supplement. Zu ihnen zählt Alberto Nardelli, studierter Medien- und Politikwissenschafter, der fast schon im Stile von Nate Silver von sich sagt, nebst Politik „football, film, fashion and food“ zu lieben: Auf 86 Prozent schätzte der Info-Brooker nach der letzten Umfrage die Chance, dass Mitte-Links im Repräsentantenhaus eine Mehrheit haben wird. Seine Berechnungen für den Senat ergaben 54 Prozent Wahrscheinlichkeit. Die grösste Unsicherheit bestand in seiner Optik in der Lombardei. Gewinne Mitte/Linke hier nicht, sei sie auf einen Sieg in allen anderen Regionen angewiesen, um die Mehrheit in beiden Kammern zu sichern, liess er sein 130000 Follower wissen. Namentlich im Veneto erschien ihm das wenig wahrscheinlich, und auch den Ausgang in Sizilien klassierte er als offen.

Spannender hätte es der Blogger, der den Twitter-account “electionista” betreibt, nicht machen können. So schrieb er vor Wochenfrist: „Polls will no longer be published in Italy for the next two weeks, but of course they’ll be taken. Should I come across any, I’ll post any major trends/news here.“

Seither kann man Nardellis muntere Umrechnungen von unveröffentlichten Umfragen zu Wahrscheinlichkeiten via Soziale Medien verfolgen. Seine letzten Neuigkeiten: Nicht mehr 86, sondern 89 Prozent Wahrscheinlichkeit für einen Mitte/Links-Sieg im Repräsentantenhaus, und 51 Prozent für die die Mehrheit der gleichen Koalition in der alles entscheidenden Lombardei.

Claude Longchamp