Die gestiegene Volatilität als Kennzeichen des neuen Wahlverhalten in Liechtenstein

Erstmals in der Geschichte des Liechtensteiner Landtages ziehen Vertreter von vier Parteien ins Parlament ein. Zu den bisherigen Parteien, der FBP, der VU und der FL, gesellen sich „Die Unabhängigen“ (DU).

Eigentliche Wahlsiegerin ist gemäss vorläufig amtlichen Wahlergebnis die FBP mit genau 40 Prozent der Stimmen, die neu die stärkste Partei in Liechtenstein ist, gefolgt von der VU mit 33,5 Prozent. Die DU schafft auf Anhieb 15,3 Prozent, während die FL auf 11,1 Prozent kommt. Die Wahlbeteiligung liegt bei 79,8 Prozent.

Gegenüber der letzten Landtagswahl im Jahre 2009 bedeutet dies zunächst eine verringerte Teilnahme von rund 5 Prozentpunkte. Anteile verloren haben die beiden grossen Parteien, am meisten die VU (-14,1%), gefolgt von der FBP (-3,5%). Grosse Gewinne setzte es heute für die DU ab, die es bei den letzten Wahlen noch gar nicht gegeben hatte. Entstanden ist sie durch die Abspaltung von Harry Quaderer von der VU. Mit einem Plus von 2,2% leicht zulegen konnte die FL.

Wichtigstes Kennzeichen des Wahlverhaltens in Liechtenstein 2013 ist die gestiegene Volatilität. Sie hat schon in den letzten Jahren zugenommen, erreichte neun aber einen neuen Höhepunkt. Ausdruck der veränderten Position der beiden traditionellen Volksparteien ist, dass ihr Monopol auf Volksvertretung im Parlament nun definitiv gebrochen ist. War es bisher die FL, die namentlich in der bildungsstarken Mittelschicht Liechtensteins punkten konnte, kommt jetzt die DU hinzu, die bei jüngeren Wählerenden Stimmen gemacht haben dürfte. Damit haben die beiden Traditionsparteien, die leicht rechts des Zentrums politisieren, wohl links wie rechts im politischen Spektrum Konkurrenz bekommen.

Nicht bestätigt hat sich die medial verbreitete Annahme, die Abspaltung der DU von der VU werde das bekannte ProtestwählerInnen-Potenzial, das man am ehesten bei der FL ortete, spalten, sodass die beiden Kleinparteien an der Wahlhürde von 8 Prozent scheitern könnten. Vielmehr dürfte die Möglichkeit, im neuen Landtag nicht mehr beteiligt zu sein, die FL-Wählenden besonders zur Teilnahme motiviert haben, während die DU in erster Linie bei den (neuen) WechselwählerInnen gewählt wurde konnte. Die überdurchschnittlichen Verluste der VU beispielsweise in Eschen und Triesen, aber auch der FBP in Ruggell, Mauren und Gamprin, die mit überproportionalen Gewinnen der DU einher gehen, sind ein klares Zeichen für die aktuellen Tendenzen in der Wählerschaft der beiden grossen Volksparteien, die in der Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik ihre Ursache haben dürften. Zwar konnte sich Liechtenstein mit seiner Weissgeldstrategie vom internationalen Druck befreien, innenpolitische nagen aber Defizite im Staatshaushalt und in den Pensionskassen an der Glaubwürdigkeit der etablierten Kräfte.

Im neuen Landtag stellt die FBP mit 10 Mandaten (-1) neu die stärkste Vertretung; hinter ihr liegt die VU mit 8 Abgeordneten (-5), gefolgt von der DU mit 4 (+4) und der FL mit 3 (+2). Noch ist die Regierungsbildung offen. Die besten Karten für die Regierungsbildung hat aber die FBP unter dem bisherigen Polizeichef Adrian Hasler, und am wahrscheinlichsten erscheint aber eine Neuauflage der grossen Koalition, diesmal allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.

Wie auch immer, die erhöhte Bereitschaft, mit bisherigen Parteiloyalitäten zu brechen, beschränkt auch die nochmals verringerte Beteiligung zu den Herausforderungen, denen sich die Parteien stellen müssen. Denn diese haben zu einer bisher nicht gekannten Pluralisierung der Landtagsabgeordneten geführt. Rein rechnerisch sind die beiden grösseren Parteien nicht mehr sicher in der Mehrheit zu sein, wenn sie sich nicht einigen, denn beide können durch eine Allianz aller Konkurrenten überstimmt werden. In den letzten vier Jahren hatte die VU (bis zum Ausscheiden von Quaderer) die absolute Mehrheit auf sicher, während es für die FBP auch mit der FL nicht zur Mehrheit reichte.

Claude Longchamp