Vor einer rekordverdächtigen Abstinenz bei der Volksabstimmung über das Tierseuchengesetz

Der Kanton Genf zählt als einziger Stand Tag für Tag die briefliche Stimmbeteiligung aus; er ist auch für die nationalen Teilnahmewerte zum eigentlichen Trendkanton geworden.

Heute nachmittag haben im Kanton Genf 27,5 Prozent der Stimmberechtigten ihre Stimme zur einzigen eidgenössischen Volksabstimmung abgegeben: ein ziemlich einmalig tiefer Wert. Die Extrapolation bei frühere Abstimmungen spricht für eine finale Stimmbeteiligung im Kanton Genf von rund 30 Prozent.
Nun sind die Teilnahmewerte im Kanton Genf fast konstant höher als gesamtschweizerisch. Langfristig beträgt die Differenz 4-5 Prozent, allerdings mit einer recht erheblichen Schwankung. Eine gesamtschweizerische Beteiligung von weniger als einem Drittel ist damit wahrscheinlich, ein von unter 30 Prozent möglich.

Die 10 fakultativen Referenden mit der tiefsten Stimmbeteiligung in der Schweizer Abstimmungsgeschichte

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Der bisherige Tiefstwert für die Teilnahme an einer eidg. Volksabstimmungen stammt aus dem Jahr 1972, als es um den Schutz der Währung und die Stabilisierung des Baumarktes ging. Er lag bei 26,7 Prozent. Begründen liess er sich mit der Einführung des Frauenstimm- und -wahlrechts, die vorübergehend zu einer geringeren Beteiligung führte. Dafür spricht auch, dass gleich drei weitere rekordnahe Tiefstwerte in den ersten 4 Jahren nach der Erweiterung des Männer- auf das Erwachsenenstimm- und -wahlrechts fallen.
Im 21. Jahrhundert sind ganz so tiefe Beteiligungswerte etwas seltener geworden. Unter 30 Prozent waren sie insgesamt noch drei Mal: 2003 bei der Anpassung der kantonalen Beiträge an die Spitalbehandlungen, am gleichen Tag bei der Einführung der allgemeinen Volksinitiative und 2006 beim Bildungsartikel.

Keine dieser Vorlagen interessierte wirklich – keine wurde auch abgelehnt. Indes, mit Ausnahme der Spitalfinanzierung handelte es sich um Entscheidungen zu weitgehend unbestrittenen obligatorischen Referenden.
Stellt man auf die fakultativen Referenden (um das es sich beim Tierseuchengesetz handelt) ab, kommen ganz so tiefe Teilnahmewerte nicht vor. Das hat damit zu tun, dass es zu einer minimalen Polarisierung kommt, die sich entsprechend beschränkt vorteilhaft auf die Mobilisierung auswirkt.
Der Ausgang ist bei solchen Abstimmung in vergleichbarem Masse offen, wie bei allen fakultativen Referenden. Denn es gibt bei tiefer Beteiligung sehr wohl Fälle, die mangels Debatte glatt durchgingen; die Anpassung der kantonalen Beiträge an die Spitalfinanzierung aus dem Jahre 2003 stehen mit einem Ja-Anteil von 77,4 Prozent dafür. Ebenso existieren auch Beispiele, bei denen die Referendumsführer die Mehrheit hinter sich scharen konnten. So fiel das Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz 1996 bei 31 Prozent Beteiligung mit 61 Prozent Nein-Stimmen exemplarisch durch.

Für den morgigen Abstimmungssonntag lohnt es sich, sicherheitshalber von 2 Szenarien auszugehen: von einer Meinungsbildung, bei der sich Unentschiedene auf beide Seiten verteilen und das neue Tierseuchengesetz durchgehen dürfte, und von einem Kippmomente zugunsten der Opponenten, bei dem das Desinteresse in eine finale Ablehnung mündet.

Uebrigens, die SRG-Medien führen morgen keine Hochrechnung zur eidgenössischen Volksabstimmung durch; die Tagesschau von SRF berichtet um 16 Uhr in einer Spezialsendung über das Ergebnis zum neuen Tierseuchengesetz.

Claude Longchamp