Die Hälfte der Entscheidungen im neuen Nationalrat fallen ohne die SVP-Fraktion

Die Polarisierung im Nationalrat hat die Blockbildung der Fraktionen erhöht. Wichtiger wird damit, wer mit wem und gegen wen die Mehrheit bildet. Am häufigsten ist das naturgemäss ohne die Polarparteien. Der Trend geht dabei Richtung Ausschluss der SVP-Fraktion.

Susanne Leutenegger Oberholzer, Carlo Sommaruga, Franziska Teuscher, Daniel Vischer und Regula Rytz – das sind die am klarsten links stimmenden NationalrätInnen des ersten Legislaturjahres seit den Parlamentswahlen 2011, derweil ihnen Primin Schwander, Christoph Blocher, Toni Brunner, Lukas Reimann und Hans Fehr am rechten Ende des Spektrums am deutlichsten gegenüber stehen.


Veränderte Blockbildung im Nationalrat: Von der Polarisierung zwischen Bürgerlich vs. Rotgrün (1996), zur Dreiteiliung des Parlament in Rechte, Mitte und Linke (2012). Grafiken anclicken, um sie zu vergrössern

Neu ist das nicht. Klarer denn je zeigt das aktualisierte Parlamentsrating von sotomo aber, dass es keine Zwischenfelder mehr gibt zwischen den Polen links und rechts und der Mitte. Filippo Leutenegger von der FDP, Gerhard Pfister von der CVP, Urs Gasche von der BDP, aber auch Martin Bäumle von der GLP sind zwar die “Rechtsausleger” ihrer jeweiligen Fraktion; bei der SVP wären sie alle aber Exoten. Das gilt genauso für Kurt Fluri (FDP), Jacques Neirynck (CVP), Rosemarie Quadranti (BDP) und Kathrin Bertschi (GLP), die am linken Rand ihrer Fraktionen politisieren, aber alle samt bei SP oder GP massive AbweichlereInnen wären.

Ueber die Zeit nicht wesentlich verändert hat sich ist die mittlere Positionen der Fraktionen. Unter dem Konkurrenzdruck der GLP hat die GP ihre klare Links-Position 2012 etwas abgeschwächt, und die BDP ist, ursprünglich näher bei der FDP, ist im gleichen Zeitraum Richtung CVP gewandert. Quantitativ entscheidend ist aber, dass die Geschlossenheit verschiedener Fraktionen zugenommen hat. Zwischenzeitlich stimmen, im Schnitt, mehr als 95 Prozent der GLP-NationalrätInnen gleich. Ihnen folgen, in Sachen Homogenität, die SP- und GP-Fraktionen. Seit der Abspaltung der BDP homogener geworden ist auch die SVP, bei der heute im Mittel über 90 Prozent der Mitglieder im Nationalrat gleich votieren.

Die grösste Mühe mit der Geschlossenheit hat – unverändert – die CVP; allen “Verlusten an den Flügeln” (Selbstdiagnose) zum Trotz, ist die Homogenität des Stimmverhaltens der Fraktion nach einem Zwischenhoch von 2003 bis 2007 weiter am Sinken, ohne dass eine Umkehr sichtbar würde. Seit dieser Legislatur gilt das auch für FDP und BDP; nur bei letzterer hat das mit Wachstum der Fraktionsgrösse zu tun.

Die vermehrte Blockbildung von den Polen her hat im ersten Jahr nach den letzten Nationalratswahlen die Allianzbildung verändert: Häufiger geworden sind Mitte/Links-Allianzen, aber auch linksliberale Allianzen; ihnen gemeinsam ist, dass die SP entweder mit der CVP (18%; +5%punkte) oder mit der FDP (5%; +2%punkte) die entscheidende Verbindung eingeht. Indes, sie machen trotz anteilsmässiger Zunahme nur eine Minderheit der Entscheidungen in der Volksvertretung aus. Die Mehrheit der Entscheidungen besteht aus Allianzen von SVP, FDP und CVP (42 %; -2%punkte) resp. von SP, FDP und CVP (28%; -4%punkte). Unheilige Allianzen, zwischen SVP und SP (2%; -1%punkt), sorgen zwar regelmässig für Aufsehen, bleiben aber die Ausnahme.

Das kann man auch anders ausdrücken: Wie oft wird eine erfolgreiche Allianz ohne eine bestimmte Partei gebildet, ist nämlich die entscheidende Frage. Die Antwort lautet: In 51 Prozent der Fälle entscheidet der neue Nationalrat ohne die SVP-Fraktion, 42 Prozent ohne die SP-Fraktion, 20 ohne die FDP-Fraktion und 7 Prozent ohne die CVP-Fraktion. Steigend ist der Anteil von Allianzen ohne SVP, aber auch ohne FDP, stabil sind solche ohne CVP, leicht sinkend solche SP.

Mit anderen Worten: 16 Jahre nach der grossen Dabatte über die “Tripolarität der schweizerischen Parteienlandschaft” ist die damalige Erwartung heute Realität geworden. Die Mitgliederstärke der neuen Mitte-Fraktionen reicht trotz nicht, um die Mehrheit alleine zu bestimmen; sie machen von den veränderten Spielmöglichkeiten jedoch Gebrauch, und sie haben den Schwerpunkt erfolgreicher Allianzen von rechts der Mitte zu minim links davon verlagert.

Claude Longchamp