USWahl: statt auf Einzelbefragungen zu schauen, Umfrageaggregatoren verwenden

Die Praxis im Umgang mit Umfragen in den USA und andern Ländern ist recht unterschiedlich. In der Schweiz und anderswo könnte man lernen, schon bei den gegenwärtigen Präsidentschaftswahlen.

In der Schweiz gibt es viel weniger Wahlbefragungen als in den USA. Zudem, man hat sich daran angewöhnt, statistische Fehlergrenzen zu zitieren. Die besagen, dass der effektive Wert in der Grundgesamtheit aufgrund der Messung in der Stichprobe zwischen einem Maximal- und einem Minimalwert liegt. In den USA wiederum haben wir, gerade vor Präsidentschaftswahlen, das 100-fache an Befragungen. Das erlaubt es, eine andere Art der Validierung von Einzelergebnissen vorzunehmen – zum Beispiel, indem man Werte aus Umfragen mittelt. Damit schliesst man aus, sich von Ausreissern fehlleiten zu lassen.

Gegenwärtig gibt es fünf solcher Aggregatoren von Umfragen. Erstellt werden sie nicht von Umfrageinstituten, sondern von wissenschaftlichen oder journalistischen Plattformen. Das Prinzip ist überall sehr ähnlich, die berücksichtigten Umfragen variieren leicht – deshalb gibt es auch gewisse Unterschiede zwischen den Aggregatoren. Aktuell zeigen sie, reduziert auf die Angaben für die beiden Favoriten (Prozentwerte für Obama):

48.7% Talking Points Memo
50.4% RealClearPolitics
50.5% Pollster
50.8% Princeton Election Consoritum
51.1% ElectionProjection

Noch besser als das ist die Superaggregation, sprich die Aggregierung der Aggregatoren, die PollyVote erstellt. Der Mittelwert der Mittelwerte liegt aktuell bei 50.3 Prozent für Obama, gegenüber 49.7 für Romney. Der Vorteil: Fehlerquoten sind hier nicht mehr nötig!


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Die unprätentiös geführte Website des Papageien “Polly” bietet noch mehr. Denn sie zeigt seit neuestem handlich auf, wie sie die die Mittelwerte in den Aggregatoren über die Zeit verändern. Das erlaubt es, Ereignisanalysen auf gesicherter Basis vorzunehmen.

Demnach kann man sagen: Seit dem 5. Oktober entwickeln sich alle Aggregatoren zuungunsten des Präsidenten. Der Verlust seither beträgt rund 2% Wählerstimmen; entsprechend zugelegt hat der republikanische Herausforderer. Seit dem 9. Oktober ist der Trend indes nicht mehr einheitlich, klare Aussagen, wie es weiter geht, lässt das (noch) nicht zu.

Die Erklärung für diese jüngsten Entwicklungen ist recht einfach: Mit einer Ausnahme legen die Aggregatoren nahe, dass der Rückgang erst nach der “DenverDebate” eingesetzt hat, dass er wohl bereits wieder gestoppt ist und insgesamt weniger als 2 Prozent Wählend verschob. Die Führung des Präsidenten in den Umfragen, seit der Publikation des Videos über Romney Aussagen zu “Staatsschmarotzern” kontinuierlich angewachsen, ist damit geschmolzen, aber nicht ganz aufgebraucht.

Direkt anwendbar wären diese Ueberlegungen in der Schweiz oder Oesterreich nur, wenn es viel mehr Umfragen gäbe. Das wird in absehbarer Zeit nicht der Fall sein. Indirekte Anwendungsmöglichkeiten gibt es dennoch. Statt auf einzelne Umfragen zu schauen und daraus Entwicklungen anzuleiten, ist der Gebrauch der Umfrage-Aggregatoren zu empfehlen. Gut gemeint ist das für alle, also nicht nur für die SpezialistInnen, sondern jede und jeder, die/der sich dafür interessiert – oder darüber berichtet. Denn die Mittelwertsentwicklung auf Aggregatoren- und Superaggregatorenebene werden von PollyVote tagesaktuell via Internet veröffentlicht – und sollten viel häufiger statt exemplarischer Umfragen zitiert werden. Zum Vorteil aller!

Claude Longchamp

Uebrigens: Seit kurzem gibt es auch einen Aggregator für Wahlbörsen zu den amerikanischen Präsidentschaftswahlen: predictwise.