Hat der Parteitag der Demokraten Präsident Obama geholfen?

Ob es schon Umfragen zum Parteitag der Demokraten gäbe, wollte Twitter-Follower Matthias Bücher gestern von mir wissen? Die Antwort auf die Schnelle lautet ja, die Antwort mit Umsicht fällt nicht umgekehrt, aber etwas differenzierter aus. Eine Auslegeordnung.

Drei US-Institute veröffentlichen gegenwärtig täglich Umfragen: Gallup, Ipsos und Rasmussen.

. Gallup kommt heute morgen auf 48:45 im Kampf zwischen Obama (+1%punkt) und Romney (-1%punkt). (Weitere Aktualisierung kann man sich unter https://twitter.com/gallupnews abonnieren.)

. Ipsos nennt ein Verhältnis von 46:44 (mit 2% plus bei Obama und 1% minus bei Romney). (Einen grafischen Trend gibt es hier noch nicht, aktuelle Daten gibt es unter https://twitter.com/ipsosnewspolls)
. Bei Rasmussen (GOP-nahestehend) sieht es gleich aus; Obama hat 46% (+1%punkt) und Romney kommt auf 44% (-2%punkte, weitere Aktualisierungen unter https://twitter.com/RasmussenPoll).

Gemeinsam ist allen drei demoskopischen Erhebungen, dass Obama kurzfristig etwas gewinnt, Romney etwas verliert. Etwas unterschiedlich sind allerdings die Niveaus. Eine weitere Gemeinsamkeit besteht darin, dass alle Aussagen auf Tracking-Studien beruhen, also auf mehrtätigen Befragungen, wobei jeden Tag eine Tranche Befragte hinzu kommt, und alle 24 Stunden auch eine verschwindet. Die effektiv gemessenen Ausschläge waren demnach allesamt grösser, indessen, auch die Fehlerquote ist erhöht, sodass gemittelte Werte sicherer sind. Der Nachteil der Methode besteht darin, dass es sich nicht um Veränderungen von gestern zu vorgestern handelt. Vielmehr geht es um Verschiebungen, die einige Tage älter sind. Denn Gallup errechnet die Mittelwerte auf jeweils 7 (Befragungs)Tage, Ipsos und Rasmussen auf jeweils 3.

Falsch wäre der Schluss, dass sei der Effekt der Rede von Präsident Obama; richtig ist, dass die Auswirkungen des mehrtätigen Konventes der Demokraten einfliesst, und die Effekte der Präsentationen von Michelle Obama, allenfalls auch Bill Clinton jetzt schon berücksichtigt sind. Was Obama mit seiner Schlussrede bewirkte, wird man wohl erst in 2-3 Tagen genauer abschätzen können. Indes, auch das wir man nie genau wissen, den gestern erschienen auch die letzten Arbeitsmarktdaten, wobei man annehmen kann, dass sie einen Teil der positiven Veränderungen bereits neutralisiert haben.

Diese üblichen Probleme mit dem harten nowcasting kann man nur entgegen, wenn man sich fragt, was das für das forecasting heisst. Zu deutsch, was wird, wenn man statt auf Bestandesaufnahmen auf Vorhersagen abstellt?

Dazu gibt es in den USA zwischenzeitlich 6 Projektionsmodelle; die 5 Einzelhochrechnungen aufgrund verschiedener Ueberlegungen dazu kommen auf 50,1 bis 51,0 % Stimmen für den Amtsinhaber, wobei dieses Verhältnis nur noch die Stimmen für Obama und Romney schätzt. Das Mittel, das in die 6. Projektion, die von PollyVote, eingeht, liegt wählerInnen-seitig bei 50,4 zu 49,6 für den bisherigen Präsidenten.

Projektionen der Wählerstimmen aufgrund von Umfragen: Prozente für Obama
50,1% Pollster
50,2% TalkingPointsMemo
50,2% ElectionProjection
50,4% RealClearPolitics
51,0% Princeton Election Consortium

Kontrolliert wird dies bei PollyVote durch andere Prognosemethoden, namentlich durch ökonomische Modelle, Modellierungen von Personen- und Themenkompetenzen, Wahlbörsen und Expertenmeinungen. Namentlich die ökonomischen Modelle legen ein noch knapperes Ergebnis nahe, derweil alle anderen Verfahren den Vorsprung von Obama etwas vergrössern. Total gibt das für die Prognosespezialisten des PollyVote-Projektes ein Rating von 51,6 für Obama zu 48,4 für Romney. Tatsächlich wäre damit auch der leicht positive Trend für den Republikaner seit seiner Nominierung gebremst und in die umgekehrte Richtung gelenkt worden. Die Effekte sind allerdings recht gering, denn Obama lag in den Prognosen der letzten 6 Monate immer vorne, und zwar mit einem Anteil von 51,2 bis 52,6 bei dem (vereinfachten) Verhältnis der Wählerstimmen.

Prognosemethoden WählerInnen-Anteile: Prozente für Obama
50,2% ökonometrische Modelle
50,4% Umfragen
50,7% Expertenschätzungen
53,1% Wahlbörse (Iowa)
53,7% Personenprofile/Themenkompetenzen

Damit sind wir bei der Umrechnung auf die Elektorenstimmen ankommen, die in den Gliedstaaten vergeben werden. Deshalb sind die nationalen Stimmenanteile gar nicht so wichtig, von Bedeutung ist mehr die (voraussichtliche) Verteilung in den umstrittenen Staaten. Nimmt man die 5 detaillierten Projektionen, die es hierzu gibt, resultiert stets ein Vorsprung für den demokratischen Kandidaten, wenn auch ein unterschiedlich grosser. Für seine Wiederwahl braucht Obama 270 Stimmen, und er hat in den Prognose zum Electoral College zwischen 285 und 322. Das ist sicher weniger als vor 4 Jahren, aber immer noch genug, um seine Ziele in der 2. Amtszeit zu erreichen.

Prognosemethoden ElectoralCollege: Stimmen für Obama
285 ElectionProjection
309 PrincetonElectionProjection
314 FiveThirtyEight
322 Votamatic
322 Electoral Vote
Weggelassen habe ich hier alle Zusammenstellungen, welche die Stimmen in den unsicheren Gliedstaaten in die neutrale Mitte-Position schieben, sodass beiden Kandidaten keine Mehrheit haben.

Mit anderen Worten, lautete die Antwort auf Matthias Bürches Frage: Es gibt Umfragen, doch wir man den Parteitageffekt erst in wenigen Tagen kennen. Momentan spricht alles dafür, dass er Obama kurzfristig nützt, und dass er dies seinen Vorsprung in den Projektionen etwas vergrössert hat. Tiefgreifene Umschwünge sind nicht zu erwarten, werde durch den einen, noch den anderen Grossanlass. Das spricht für eine polarisierte Kandidatenlandschaft, bei der sich ähnliche grosse Lager gegenüberstehen. Bei den Wählerstimmen haben sich die Verhältnisse mit leichtem Vorteil für Obama stabilisiert, bei den Elektorenstimmen hat der Präsident einen etwas grösser Vorsprung.

Claude Longchamp