Wenn Leute wie Du und ich werben

Kampagnen befördern Botschaften, – und brauchen dafür BotschafterInnen. Prominente PolitikerInnen, Wirtschaftsführer, Grössen aus Sport und Kultur sind die eine Möglichkeit als KommunikatorInnen. Leute wie Du und ich sind die andere. Sie mit viralem Marketing zu sprechen zu bringen, ist der neueste Trend in schweizerischen Abstimmungskämpfen.


California. 5. November 2008.
Amerika wählt einen neuen Präsidenten, Kalifornien stimmt über eine Vielzahl von Vorlagen ab. Zum Beispiel über Proposition 11, eine Vorlage des Gouverneurs Arnold Schwarzeneggger, der damit verhindern will, dass die jeweilige Parlamentsmehrheit die Wahlkreise so einteilen kann, um ihre Wiederwahl zu sichern. Die Materie ist für die meisten Menschen eher trocken, und PolitikerInnen als Kommunikatoren erscheinen alle befangen. Geworben wird deshalb für den “Vorschlag 11” mit Clips, unter anderem mit einem von gänzlich unbekannten Luke Perisin, einem Feuerwehrmann, aus California. In 30 Sekunden erklärte der Sprecher, um was seiner Meinung nach geht, und was für den Vorschlag des Gouverneurs spricht. Die Botschaft ist kurz und knapp. Und sie sitzt. Schwarzenegger dankt am Ende des Abstimmungskampfes Perisin, denn seine Vorlage wird mit 51 Prozent Zustimmung hauchdünn angenommen.

In der Schweiz hat die Hauptphase des Abstimmungskampfes zur Fortsetzung und Erweiterung der Personenfreizügigkeit mit der Europäischen Union begonnen. Die Materie ist zwar nicht fremd, aber komplex. Es besteht Unsicherheit, was bei einem Nein geschehen würde. Und es vermengen sich längerfristige Perspektiven der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU einerseits, skeptische Beurteilungen der aktuelle Wirtschaftslage anderseits. Bedeuteunde Wirtschaftsführer als Kommunikatoren kommen im gegenwärtigen Umfeld kaum mehr in Frage; sie haben genug zu tun, ihre eigene Lage in den Griff zu bekommen. BundesrätInnen in Kampagnen von Komitees sind auch umstritten; immer mehr macht man ihnen den Vorwurf, Propaganda zu betreiben, statt zu informieren. Und gesellschaftliche Grössen eigenen sich in dieser Frage weniger.

Das Ja-Komitee zur Personenfreizügigkeit folgt ganz dieser Entwicklung. Es stellt verschiedene Clips ins Netz, die nach dem kalifornischen Muster gestrickt sind. Nun ist es beispielsweise Bea Diallo, Aerztin an der Hirslandenklinik, die für die Bilateralen wirbt. Wenige Worte genügen ihr, den Sachverhalte, um den es für sie im Spitalbereich geht, zu schildern. Und einige Sekunden der Argumentation reichen, um ihn auch aus der persönlichen Sicht zu begründen. Die bildhafte Unterstützung im Gang des Spital soll helfen, die Botschaft zu transportieren. Nach 45 Sekunden muss diese plaziert sein.



Erste Zwischenbilanz

Zielgruppenspezifische Ansprache im Zeitalter der visuellen Kommunikation, könnte man das Ganze nennen. Das ist zwar theoretisch nicht ganz neu, aber eben, es muss in die Praxis umgesetzt werden. Spots als Instrumente der politischen Werbung sind in der Schweiz, anders als in den USA, verboten. Deshalb muss man hierzulande zwingend aufs Web ausweichen. Leute wie du und ich waren bisher in Kampagnen keine grossen SprecherInnen. Das scheint sich zu ändern, und soll sich dank viralem Marketing in den Netzwerken der Aerzte, Köche, ihrer PatientInnen und KundInnen verbreiten – eine Innovation, die Schule machen dürfte.

Claude Longchamp

PS:
Die Gegner reagierten ein wenig nervös. Sie stellten unmittelbar nach Erscheinen dieser Video 13 eigene ins Netz. Der Unterschied: Es reden da alles Politiker.