Der Krise der parlamentarischen Demokratie etwas gegenueber stellen

Im Spiegel-Essay (leider nicht online) dieser Woche nimmt sich Herfried Münkler der aktuellen Demokratie-Debatte an. Gekonnt analysiert er die gegenwärtigen Schwächen der (deutschen) parlamentarischen Demokratie, ohne jedoch eine Alternative aufzeigen zu können, wie sie überwunden werden könnten. Meine Entgegnung.

Vom Ende der parlamentarischen Demokratie mag der führende deutsche Berliner Politikwissenschafter nicht sprechen, von einer Erosion eines Modells von Demokratie, dessen Potenzial erschöpft sei, schon. Gerade deshalb bedarf es einer kritischen Analyse, was heute politisch von Vor- und Nachteil ist.

Zwei Gründe sprechen nach Herfried Münkler für die repräsentetive Demokratie: erstens, die geglückte Synthese von Dezision und Deliberation, die zu einer Qualitätsverbesserung politischer Entscheidungen geführt habe, und die Auflösung von Ausführung und Kontrolle, die an Regierungen delegiert wurden.

Das 18. Jahrhundert hat, auf dieser Basis, zwei Modelle repräsentativer Demokratien hervorgebracht: jenes in den USA mit einem gewählten Präsidenten, und jenes in Grossbritannien mit Regierung und Opposition, die aus Parlamentswahlen hervorgehen.

Münkler identifiziert hierfür drei Voraussetzungen: erstens, die Entschleunigung von Entscheidungsprozessen, zweitens die Zuspitzung von Problemen vor Wahlen, die eine Auswahl ermöglichen, und drittens, die politische Kompetenz der BürgerInnen, die Entscheidungen fällen sollen.

Bedroht sieht der Politologieprofessor heute vor allem Ersteres, denn die Temporalität wirtschaftlicher Prozesse stelle die Eigenrhythmik politischer demokratischr Systeme in Frage. Gefahr lauere auch von der Alternativlosigkeit politischer Entscheidungen, was das Spiel von Regierung und Opposition in Frage stelle. Zugespitzt: “Das Parlament nickt nur noch ab, was von der Exekutive unter dem Druck der Börsen und Rating-Agenturen verkündet worden ist.”

Zwei Entwicklungen gegen diesen Trend ortet Münkler (in Deutschland): das Bundesverfassungsgericht und die Piratenpartei. Die Richter forderten Entschleunigung, die Piraten Beschleunigung. Ersteres setze den Territorialstaat voraus – mit Grenzen, die Kontrollposten des politischen Zeitregimes seien; genau das habe man aufgegeben, um die Marktkräfte besser kontrollieren zu können. Zweiteres verzichte genau darauf, will Bürger und Bürgerinnen, die so schnell wie Makler entscheiden könnten, übersehe aber, dass ihre Kompetenz geringer bleibe. Wer mehr Beteiligung verspreche, nehme deshalb mehr Ungleichheit in Kauf.

Da endet denn auch die Weisheit des Analytikers. Letzlich sieht er ein allmähliches Versinken der repräsentativen Demokratie in ihrer eigenen Schwächen voraus.

Mit Sicherheit, Vieles an der knappen Analyse der Gegenwarts-Demokratie ist zutreffend, und ich hoffe, das in der noch knapperen Zusammenfassung auch einsichtig gemacht zu haben. Dennoch: Das Ganze ist geprägt von deutschen Demokratieerfahrungen, in deen die Parteien die Treiber, das Verfassungsgericht die Bremse sind. Vorausgesetzt wird dabei, dass nur in einem parlamentarisch geprägten politisches System sinnvolle Entscheidungen produziert werden könnten.

Man kann dem, in einer erweiterten Optik, auch widersprechen.

Denn auch die direktdemokratisch erweiterte Demokratie kennt ihre eigene Logik, die man nicht huschhusch mit Demagogie abtun kann. Denn Volksverführer gibt es nicht einfach wegen Volksabstimmungen; vielmehr haben sie sich auch in Wahldemokratien verschiedenster Art erfolgreich eingenistet. Mehr direkte Demokratie verspricht, anders als der Richterstaat, mehr Entscheidungsrhythmen, die dem Empfinden der BürgerInnen angemessen sind, was der Politikverdrossenheit entgegen wirkt. Denn wenn Dezision und Deliberation auseinander fallen, fallen direktdemokratische Entscheidungen in der Regel negativ aus, was auf die Dauer weder Behörden noch Bevölkerung dient. So sind gute Designs direkter Demokratie gefordert, die den kontroversen politischen Diskurs befördern, indem sie die Chancen verringern, dass die Politik das Feld, auf dem Alternativen der Regierungsaspiranten eingegrenzt wird.

Das sind meines Erachtens durchaus zwei Pluspunkte, die man in der Analyse der Gegenwartsprobleme von Demokratien nicht einfach unterschlagen sollte. Von der Kritik Münklers bleibt eigentlich nur, dass mehr Partizipationsversprechen zur regelmässigen Beteiligung einer BürgerInnen-Elite führt, während sich ein variabler Teil mehr punktuell einrbingt, nicht zuletzt aufgrund von Betroffenheit wie das schweizerische Beispiel zeigt.

Damit dies nicht der unheilvollen Polarität von Parteien und Populisten ausgeliefert wird, erweisen sich Gruppierungen der Zivilgsellschaft wie Interessengruppen und BürgerInnen-Initiativen durchaus als sinnvolle Erweiterung der politischen Akteure, die zur Steuerung politischer Entscheidungen auch unter erschwerten Bedingungen beitragen.

Die Perspektiven der Verbesserung von Demokratien darf deshalb nicht einfach auf Verfassungsstaat und liquid democracy eingeengt werden.

Claude Longchamp