Rückblick auf die missratene FDP-Bürokratie-Initiative

Knapp ein Jahr vor den letzten Parlamentswahlen hatte mich die FDP Schweiz eingeladen, mit ihr über die Möglichkeiten von Volksinitiativen als Wahlkampfinstrument zu sprechen. Nach dem Scheitern der Bürokratie-Initiative kann man aus Distanz Bilanz ziehen.

Am Tag, als ich Bundeshaus vor den FDP-Wahlkampf-LeiterInnen in Bund und Kantonen sprach, war es weniger als eine Woche her, dass die Ausschaffungsinitiative in der Volksabstimmung angenommen worden war. In der Luft lag, dass die FDP dem SVP-Vorbild folgen wolle, denn die Konkurrenz von rechts hatte 2007 gezeigt, wie sie mit der Volksinitiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer ihre Wahlkampagne befeuerte und wie sie mit einem Thema aus dem Wahljahr eine ganze Legislatur aufzumischen wusste.

Die Diskussion mit der FDP zeigte rasch: Man war auch ohne grosse Auslegeordnung gewillt, sich auf das Abenteuer einzulassen, und das Bürokratie-Thema sollte den FDP-Wahlkampf 2011 richten. Die Idee hätte auch von einer anderen Partei kommen können, denn im organisierten KMU-Umfeld ist beliebt. Genau deshalb wollte man es für sich einnehmen.

Selber zögerte ich, denn die Partei schien mir nach der letzten Initiative, jener zur Reduktion des Beschwerderechts von Verbänden nicht uneingeschränkt fit, und beim Bürokratie-Stopp läuteten meine Alarmlampen kräftig auf. Denn das Thema erinnerte unweigerlich an den Wahlslogan “Mehr Freiheit – weniger Staat” – genau zu jenem Zeitpunkt lanciert, als die ehemals staatstragende Bewegung von Sieger- zur Verliererpartei mutierte. Zudem: Die Partei hatte erst zwei Initiativen lanciert, wovon die erste, zum Steuerstopp, 2001 wegen mangelnder Unterschritenzahl schon im Sammelstadium gescheitert war.

Doch half meine Erwägung für eine Volksinitiative der FDP, die aufzeigen sollte, wie Liberale Arbeitsplätze schaffen, die Volkswirtschaft voran bringen, und für die Beschäftigung etwas Gutes tun, nichts. Nicht einmal der Verweis, die FDP müsse sich vom Image mit Arbeitsplatzabbauern und Management-Boni-Optimierer positiv abgrenzen, brachte mir Punkte ein.

Die FDP entschied sich aus eigenen Stücken für die Anti-Bürokratie-Initiative. Genützt hat ihr das allerdings gar nichts.

Erstens missriet die Themensetzung im Wahlkampf gründlich. Der Ankündigung folgte keine Stimmung, endlich geschieht das was. Und bald schon interessierten sich die Medien nur noch für die immer banger werdende Frage, ob die nötige Unterschriftenzahl vor den Wahlen zustande komme. Sie kamen dann nicht.

Zweitens mobilisierte das Volksbegehren kaum die Parteibasis. Keine grössere Partei, die 2011 zu den National- und Ständeratswahlen antrat, tat sich so schwer, das durchaus vorhandene Potenzial in Wahlstimmung zu versetzen. Das lag diesmal nicht einmal am Wahlkampf, eher am Missgeschick im Umgang mit den Wahlkampfereignissen, bei denen die Bürokratiefrage überhaupt keine Rolle spielte.

Heute nun schliesst sich der Kreis, denn die FDP musste kleinlaut das Scheitern ihrer Volksinitiative bekannt geben.

Was heisst das? – Zwar hat die Initiativ-Fähigkeit in der schweizerischen Politanalyse nie die gleiche Bedeutung erlangt wie etwa die Referendumsfähigkeit, gelegentlich d a s Mass aller Dinge bei der Beurteilung der Schlagkraft einer Partei. Doch lohnt es sich, angesichts des Debakels der drittgrössten Regierungspartei beim Beibringen von Unterschriften grundsätzlich nachzudenken, was gemeint gewesen wäre.

Damit sich eine Partei in der Oeffentlichkeit als gestaltende Kraft präsentieren kann, muss sie

einmal, in der Lage sein, 100000 gültige Unterschriften in den verlangten 18 Monaten sammeln zu können,
sodann, einen Abstimmungskampf so führen können, dass der angemeldete Anspruch auf Veränderungen für aussenstehende Interessenten unterstützt werden kann,
schliesslich, eine Abstimmung zu einer eigenen Volksabstimmung gelegentlich auch gewinnen können.

Letzteres ist das Schwierigste. Ausser der SVP erfüllt gegenwärtig keine Partei mehr dieses Kriterium hinreichend. Die Probleme der FDP sind jedoch grundlegender, denn sie schafft auch die beiden ersten Anforderungen nicht mehr.

Die Rückstufung erfolgt nicht aus Schadenfreude; denn ich weiss zu gut, dass Parteien, die Volksrechte nicht beherrschen, sie nur zu gerne auch ausser Kraft setzen wollen. Sie geschieht also als Ansporn, die Volksrechts-Fähigkeit wieder zu erlangen!

Eine Initiative zu Stande zu bringen, heisst die Themenfindung zu beherrschen. Es braucht nicht immer Themen, die zu einer Partei passen und ihr Profil verleihen. Das ist zu eng aus der Wahlkampflogik gedacht. Vielmehr ist ein erheblicher Problemdruck in der breiten Bevölkerung nötig – und es bedarf eines offensichtlichen Defizits in der Gesetzgebung. Letztere verhilft, eine Volksintiative indirekte Wirkungen zu entfalten, die eine Diskussion über einen Rückzug zulassen. Ohne ersteres geht es nicht, wenn man hoch pokert, spricht, sich mit parlamentarischen Kompromissen nicht zufrieden gibt, und den Abstimmungssieg sucht.

Doch nützt in der Politik die beste Idee nichts, wenn der Apparat nicht funktioniert. Denn um eine Volksinitiative auf die Beine zu stellen, braucht es zwingend sammlungsfreudige Multiplikatoren, die es gewohnt sind, auf die Strasse zu gehen, Leute mit ihren Ueberzeugungen anzusprechen, und in maximal 5 Minuten eine Forderung begründen können. Am besten lernt man das in den Gemeinden und Kantonen, wo die Lancierung von BürgerInnen-Begehren meist einfacher sind als im Bund.

Und dann noch dies: Es brauht auch eine Parteileitung, die planen, motivieren und korrigieren kann, bevor es zu spät ist – am besten verstärkt durch PraktikerInnen, die in einem Kanton eine Volksinitiative von A bis Z durchgezogen haben und damit auch zuverlässig beurteilen können, wie gut Parteiorgane funktionieren.

Erst dann, sage ich heute noch umso deutlicher, beginnt, wenn überhaupt, das Taktieren, ob man auf diesem Wege eine Wahlkämpfe in Fahrt bringen kann – oder es besser sein lässt!

Claude Longchamp