Eile und Weile für eine besseres Gesundheitswesen

Ohne Konsens unter den wichtigen politischen Parteien, aber auch ohne Zusammenarbeit von Politik und BürgerInnen misslingt jeder weitere Anlauf, das jetzige KVG zu verbessern. Eine Übersicht über zentrale Ergebnisse des “Gesundheitsmonitor 2012”.

10vor10 vom 25.06.2012

Das heute erscheinende Gesundheitsmonitoring zeigt:

40 Prozent befürworten einen Übergang vom der jetzigen Krankenversicherung mit einem Angebot an privaten Unternehmen zu einer Einheitskasse (der Kantone). Bei der Initiantin, der SP, ist es, mit 53 Prozent, eine knappe Mehrheit.
37 Prozent sind für die Aufhebung des Vertragszwangs zwischen Krankenkassen und Ärztinnen. Bei der FDP, die hier den Lead ergriffen hat, sind es nur 28 Prozent.
75 Prozent schliesslich sind dagegen, das Obligatorium in der Grundversicherung aufzuheben, wie es die SVP neuerdings fordert. An der Basis dieser Partei sind gar 77 Prozent ablehnend.

Damit drohte ein Nein zu allen substanziellen Reformvorschlägen, wie sie diese Woche von Regierungsparteien auf den Tisch gelegt worden sind, um das politische Vakuum nach der verworfenen “Managed Care”-Vorlage zu füllen.

Ganz überraschend kommt das nicht. Denn seit der Einführung des geltenden Krankenversicherungsgesetzes 1996 sind alle grossen Gesundheitsreformen gescheitert – und zwar egal ob sie von rechts, von links, von den Krankenversicherern oder von Aussenseitern kamen. Angenommen wurde einzig, die Komplementärmedizin in der Grundversicherung zu behalten.

Man kann aus dem nur eine Lehre ziehen. Gesundheitsreformen gelingen wohl nur im Generationenrhythmus. Die meisten Stimmberechtigten gehören zur Generation “KVG”, von CVP im Verbund mit SP und FDP zu Beginn der 90er Jahren eingeführt, von der SVP immer bekämpft. Der letzte grosse Wurf passierte die Volksabstimmung mit 52 Prozent nur knapp; die Erfahrungen, die man damit gemacht hat, sind aber insgesamt positiv. Für 64 Prozent überwiegend die Vorteile hinsichtlich Qualität und Quantität die Nachteile beim Preis.

Reformvorschläge müssen bei den Kosten ansetzen, dürften für die breiten Bevölkerungsschichten aber keinen Abbau des Versorgungsniveaus bringen. Das ist die zweite Lehre. Einen weiteren Ausbau der Dienstleistungen braucht es, für die Mehrheit nicht, ein Abbau kommt angesichts der Prämienlast, für eine noch deutlichere Mehrheit, nicht in Frage.

Das schränkt den Handlungsspielraum der GesundheitspolitikerInnen ein. Ihre Aufgabe wird erschwert, weil sich nicht nur die PatientInnen und Versicherten, sondern auch die BürgerInnen längst schon an den professionalisierten Akteuren der Gesundheitspolitik ausrichten: den Ärztinnen, den Apotheken, der Pharmaindustrie, den Gesundheitsbehörden und – etwas eingeschränkt – den Krankenversicherern. In dieser Spitzengruppe mag einzig der Bundesrat mithalten, nicht aber die GesundheitspolitikerInnen.

Meine Analyse der ParteivertreterInnen im Gesundheitswesen ist nicht, dass sie, jede und jeder für sich, inkompetent wären. Doch sind sie in viel zu hohem Masse auf Eigenprofilierung ausgerichtet. Themenbewirtschaftung macht die rund, teils im Sinne der Anhängerschaft, teils auch ganz neben den Schuhen.

Gefordert sind nicht rasche Rezepte für einen kranken Patienten. Erwartet werden sauber Analysen von Problemen, die eigentlich bekannt sind, und Lösungsvorschläge, die mehr als nur einzelne Parteielite überzeugen. Der Handlungsbedarf ruft nach Eile, die Lösungskomplexität nach Weile. Denn auch das weiss man nach der gescheiterten Gesundheitsreform zu Ärztenetzwerken unwiderruflich: Oder noch klarer: Ohne Konsens unter den wichtigen politischen Parteien, aber auch ohne Zusammenarbeit von Politik und BürgerInnen misslingt jeder weitere Anlauf, das jetzige KVG zu verbessern.

Claude Longchamp