FiveThirtyEight: Der Kampf um die 538 Elektorenstimmen bei amerikanischen Präsidentschaftswahlen

In den USA lohnt es sich nicht, alleine auf nationale Umfragen zu schauen. Denn der amerikanische Präsident wird durch die in den Bundesstaaten bestimmten Elektoren gewählt.

“Noch ist Mitt Romney nicht als Kandidat der Republikaner nominiert – doch es gilt als sicher, dass er am 6. November bei den US-Präsidentschaftswahlen gegen Barack Obama antritt. Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup zeigen, dass Romney durchaus Chancen hat. Seit Monaten liefern sich Obama und er ein Kopf-an-Kopf Rennen. In der letzten Umfrage vom 1. bis 7. Juni liegt Obama mit 46 Prozent knapp vor Romney, für den 45 Prozent der Wähler stimmen würden.”

Das schreibt die Sonntagszeitung heute über die amerikanischen Präsidentschaftswahlen. FiveThirtyEight, das auf US-Wahlen spezialisierte Blog der New York Times kommt zu einem anderen Schluss. Hauptsächlicher Grund: Bekanntlich wählen nicht die WählerInnen den amerikanischen Präsidenten, sondern der Elecotral College, das Wahlmännergremium, das von den WählerInnen state by state bestimmt wird. Das macht die Sache etwas komplizierter.
Entscheidend sind nämlich die Wahlergebnisse und damit die Umfragen je Bundesstaat. Je nach Eindeutigkeit (und Erfahrung in der Interpretation) lassen diese eine Aussage zu, an wen die Elektorenstimmen gehen werden. Ueblicherweise unterscheidet man dabei zwischen soliden Mehrheiten für die Republikaner oder Demokraten, tendenziellen Mehrheiten und den “toss-ups” – den unentschiedenen Staaten.

Die FiveThirtyEight bilanziert das heute so: 217 zu 206 für Obama, bei 115 unsicheren Stimmen. Verteilt man eben diese nach wahrscheinlichstem Szenario, liegt Obama gegenwärtig mit 294 zu 244 vorne, womit seines Siegeschancen für den 6. November heute bei 77 Prozent liegen, selbst wenn er in den beigezogenen Umfragen mit nur durchschnittlich 2 Prozentpunkten Vorsprung vor Romney steht. Mehr noch: Bezieht man die frühren Erfahrungen mit der Meinungsbildung vom Juni bis November mitein, wird das Ganze zwar etwas knapper, indes Obama liegt immer noch 292 zu 264 vorne. Die wahrscheinlichste Ausgang sieht den Amtsinhaber mit einer 63prozentigen Chance in eine zweite Legislatur starten.

Mit dieser Prognose ist das Blog der New York Times sogar eines der konservativsten, wenn es um die Wiederwahl von Präsident Obama geht. Ganz im Sinne der Transparenz wird auch das offen gelegt. Am deutlichesten auf Seiten des Amtsinhabers ist die HuffingtonPost, aber auch RealClearPolitics, deklariertermassen Republikaner-freundlich, sieht Obama mit einem noch deutlicher Vorsprung als “538”. Das gilt, wenn auch etwas weniger klar für CBS, NPR und WashingtonPost.

Der grosse Vorteil des Blogs von Kolumnist Nate Silver besteht übrigens darin, auf die Ursachen der Unterschiede in den Ratings aufmerksam zu machen. Demnach gibt es in den verglichen Hochrechnungen 32 Staaten, die alle gleich entweder solid für Obama oder für Romney gewertet werden. In 18 gibt es Unterschiede. Wirklich different sind sie in New Hampshire, Pennsyvania, New Mexico, Maine, Indiana, vielleicht auch Minnesota und North Carolina.

Darüber würde man relevanterweise gerne auch aus den Schweizer Medien mehr erfahren, und nicht über die Tagesschwankungen in den GallupPolls.

Claude Longchamp