Börsianer und Personenfreizügigkeit

Abstimmungsbörsen auf Internet geben nicht nur die Erwartungen der Händler zum wahrscheinlichsten Abstimmungsausgang wieder. Sie folgen den Ergebnissen veröffentlichter Umfragen, ob diese real oder fiktiv sind. Das mindert den Wert von Wahlbörsen als unabhängige Abstimmungsprognosen erheblich.


Quelle: Wahlfieber zur Personenfreizügigkeit

Seit längerem gibt es auf Internet auch zu politischen Themen der Schweiz die Rubrik “Wahlfieber”. Die Chancen von Bundesräten gewählt zu werden oder von Abstimmungsvorlagen durchzukommen, werden dabei wie an Aktienmärkten gehandelt. Sie entstehen zwischenzeitlich weltweit Prognosen dazur, was die Erwartungshaltung der anonymen Händler sind.

Gestern abend 17 Uhr erschien die erster der beiden SRG-Umfragen zur Volkabstimmung vom 8. Februar 2009 zur Personenfreizügigkeit. Das Hauptergebnis lautete: 49 Prozent sind bestimmt oder eher dafür, 40 Prozent bestimmt oder eher dagegen. 11 Prozent der beteiligungswilligen BürgerInnen sind unentschieden.

Die Veröffentlichung des Ergebnisses brachte Bewegung in die Abstimmungsbörse “Wahlfieber”. Der Marktwert der Ja-Aktien stieg postbewendend von 50 auf 54. Jener verringerte sich leicht, von gut 50 auf knapp 50.

In den Tagen zuvor war fast nichts gegangen in der Abstimmungsbörse zur Personenfreizügigkeit. Der Wert der Nein-Aktie lag meist leicht über dem des Ja-Papiers. Die letzte wirkliche Bewegung hatte es an Weihnachten gegeben. Damals schnellt der die Nein-Aktie auf über 53, ihrem bisher höchste Wert, während die Ja-Aktien vorübergehen einen Wert von 48 notiert. Vorausgegangen war damals die Publikation einer Umfrage durch den “Blick”. Die Werte, die genannt wurden (40 dafür 50 dagegen, 10 unentschieden), erwiesen sich nachträglich als erfunden.

Was lernt man daraus? Abstimmungsbörsen wurden eingeführt, weil man annimmt, dass eine genügend grosse Zahl von Händlern, die auf den Ja- resp. Nein-Anteil wetten, den Einfluss individueller Präferenzen auf den erwarteten Abstimmungsausgang verringern. Das ist möglicherweise auch der Fall. Doch die Händler an der Politbörse lassen sich insgesamt durch die gleichen Ereignisse beeinflussen. In erster Linie durch Umfragen in Massenmedien, und zwar unabhängig davon, ob die Veröffentlichungen auf realen oder fiktiven Erhebungen basieren.

Das relativiert den Wert von Wahlbörsen als unabhängige Prognose-Instrumente doppelt!

Claude Longchamp