Die Wirkungen von Volksinitiativen – neu beurteilt

Dieses Buch muss man einfach loben! Denn es erweitert das Kleinklein über (Miss)Erfolge von Volksinitiativen durch einen bisher unbekannten Weitblick in Geschichte und Jurisprudenz. Eine Neubewertung des innovativsten Volksrechts der Schweiz ist angezeigt.

Gabriela Rohner, heute am Aarauer Zentrum für Demokratie tätig, hat einen überwältigenden Ueberblick über die Wirksamkeit von Volksinitiativen vorgelegt. Ihr Zeithorizont ist so umfassend wie nur möglich: Für 162 Jahre Schweizer Bundesstaatsgeschichte ist sie den vielfältigen Wirkungen von Volksinitiativen auf die Rechtssetzung nachgegangen.

Die Standardantwort zur aufgeworfenen Fragestellung lautete (auch in meinen Vorträgen): Rund 10 Prozent der Volksinitiativen werden in der Volksabstimmung angenommen. Der Rest scheitert, führt im besten Fall zu einem Gegenvorschlag, ohne dass man eine gesicherte Uebersicht über Erfolgswerte hätte.

Genau damit hat sich die Juristin Rohner nun beschäftigt, und sie legt, nach qualitativen Fallstudien, eine quantifizierende Uebersicht vor. Ihre neue Antwort ist: In 14 Prozent der Volksinitiativen führt ihre Einreichung zu einem direkten Gegenvorschlag. In weiteren 39 Prozent kommt es zu einem indirekten Vorschlägen. Zusammen sind das die Hälfte aller Fälle. Bei der Hälfte dieser Hälfte führte Verhandlung zwischen Behörden und InitiantInnen zum Rückzug der Volksinitiative – und damit (möglicherweise) zu gar keine Abstimmung.

Rohner nimmt dieses Ergebnis zum Anlass einer weit positiveren Würdigung der Wirkungen von Volksinitiativen als das bisher üblich war: „Diese Zahlen belegen, dass der Dialog mit den Initianten – soweit vertretbar – gesucht wurde mit dem Ziel, eine für alle Parteien akzeptable Lösung zu finden. Die Volksinitiative ist somit ein wichtiges Verhandlungspfand und stelle damit verbunden ein bedeutsames politisches Instrument zur Konfliktlösung dar. Die Kompromissbereitschaft hat massgebend damit zu tun, dass sich der Ausgang einer Volksabstimmung nie definitive voraussagen lässt.“

Die revidierte Lehrmeinung untermauert Rohner mit einer neuartigen Typologie der inhaltlichen Wirkungen der Volkinitiativen, die legislatorisch etwas ausgelöst haben. In einem knappen Drittel spricht sie von einem weitgehenden Erfolg der Initianten, in gut einem Drittel von einem mittleren und im letzten Drittel von einem kleinen Erfolg. Beispiele dafür zitiert sie zuhauf.

Natürlich, fast alles von dem, was hier wiederholt wird, hängt von den Kategorienbildung ab. Die Autorin selber sagt, eine gereifte Methode dafür gibt es (noch) nicht. Ihr ist aber zu Gute zu halten, dass sie die bisher aufwendigste Datenbeschaffung vorgenommen und eher konservative Kriterien verwendet hat. Damit schützt sie ihr optimistisches Urteil vor Einwänden. Ihr Schluss ist nicht das Ergebnis einer subjektiven Wertung; vielmehr kommt er zustande, weil die bisherige Optik, von Wirkungen auf Verfahren in der Abstimmungsdemokratie ergänzt wird durch einen tiefen Einblick in die Gesetzgebung.

Vielleicht ist eine ihrer Begründungen für Politikwissenschafter etwas blauäugig. Denn Rohner glaubt, das Parlament verhandle nur, weil es nicht wisse, wie allfällige Abstimmungen ausgingen. Das weiss das letztlich niemand genau, Annahmen hierzu werden aber sehr wohl ins Positionierungskalkül zu Volksinitiativen miteinbezogen. Dafür ist Politik letztlich auch zuständig.

Dennoch: Nicht nur die 300 Textseiten der Dissertation, die von Andreas Auer betreut wurde, lohnen sich. Es kommt ein fast 100seitiger Anhang hinzu, der bestehende Uebersichten wie bei Swissvotes erhellend erweitert. Da steckt nicht nur unheimlicher Fleiss dahinter, auch Unvoreingenommenheit, die miteinander kombiniert ein neues Bild des Funktionierens der direkten Demokratie erscheinen lässt. Wünschenswert wäre eigentlich nur, das alles wäre via Internet elektronisch verfügbar.

Claude Longchamp