Volkswahl des Bundesrates: Warum die Regierungsratswahlen keine Vergleichsbasis sind

Es ist ein innovatives Gutachten zu den Auswirkungen der Volkswahl des Bundesrates, welches das Justizdepartement vergangene Woche veröffentlichte. Zu deterministisch sollte man es allerdings nicht interpretieren. Denn Wahlen auf Kantons- und Bundesebene sind nicht vergleichbar.

Auf die Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat reagierte die SVP mit der Initiative zur Volkswahl des Bundesrates. Diese ist zustande gekommen, wird aber, wie der Bundesrat letzte Woche entschied, dem Parlament zur Ablehnung empfohlen: Bundesräte seien keine Parteisoldaten, der permanente Bundesratswahlkampf müssten vermieden werden, es gälte Stabilität und Ausgewogenheit des Bundesregierung zu sichern, sind die amtlichen Beweggründe.

Ein gleichentags veröffentlichtes Gutachten der Politologen Adrian Vatter und Thomas Milic zu den voraussichtlichen Folgen einer Volkswahl des Bundesrates entwarnt: zerst, Bisherige würden mit hoher Wahrscheinlichkeit wiedergewählt; sodann, ein parteipolitischer Umsturz sei nicht zu befürchten. Die wahrscheinlichste Zusammensetzung wäre – nach einer Uebergangsfrist – gleich wie zwischen 1959 und 2003, nämlich je 2 FDP, CVP, SP und 1 SVP. Unsicher ist gemäss den Politikwissenschaftern der siebte Sitz: um den würden sich CVP, SVP und GPS streiten. Je nach Mobilisierung sind die die Chancen des Zentrums resp. der Pole. Eine tiefe Beteiligung nützt der CVP, bei hoher Beteiligung am ehesten die SVP.

Die Kollegen der Uni Bern betonen in ihrem Gutachten, die Bundesratswahlen durch das Volk aufgrund von Erfahrungswerten bei kantonalen Exekutivwahlen simuliert zu haben – für den Normalfall. Nun kann man die Ansicht vertreten, dass es für den Normalfall keinen Systemwechsel braucht. Volksinitiativen für eine Volkswahl des Bundesrats sind vielmehr ein Zeichen der Krise –mindestens aus der Optik einer Partei. Im aktuellen Fall ist das die SVP, allenfalls ergänzt durch die GPS.

Solange es jedoch keinen Konsens über die parteipolitische Sitzverteilung unter relevanten Akteuren gibt, ist bei Bundesratswahlen durch das Volk mit Kampfwahlen zu rechnen. Was dabei geschieht, weiss man letztlich nicht.

Meine Wette ist: Von den heutigen Mitglieder des Bundesrates hätten Simonetta Sommaruga (bundesweit sehr bekannte KonsumentInnen-Schützerin) Doris Leuthard und Ueli Maurer (national bekannte ParteipräsidentInnen) die Voraussetzung erfüllt, dass sie auch ohne grossen Wahlkampf vom Volk hätten beurteilt werden können. In Majorzwahlen wären die beiden Frauen wohl auch gewählt worden, während der polarisierende Maurer am ehesten gescheitert wäre. Eveline Widmer-Schlumpf, Didier Burkhalter, Johann Schneider-Ammann und Alain Berset hingegen wären ohne einen aufwendigen Wahlkampf kaum je Bundesrat oder Bundesrätin geworden. Denn bei einer gesamtschweizerischen Wahl hätten sie den MitbürgerInnen ausserhalb ihres Wohnkantons, insbesondere aber auch in anderen Sprachregionen einer breiten Oeffentlichkeit zuerst vorgestellt werden müssen.

Damit sind wir beim springenden Punkt, wenn Bundes- und Regierungsratswahlen miteinander verglichen werden. Kantonales Exekutivmitglied wird in der Regel, wenn man Parlamentarier im Kanton, Präsident einer wichtigen Stadt war und häufig in den lokalen Medien präsent war. Der Schritt zu höheren Weihen ist meist ein relativ klein. Der Schritt vom National-, Stände- oder Regierungrat ist auch für die meisten fähigen PolitikerInnen ein grosser. Denn keiner von ihnen wäre zuvor national gewählt worden!

Ohne eigentliche Medienpartnerschaft, ohne finanziell aufwendigen Wahlkampf geht das für die allermeisten Politikerinnen nicht! Ausser man würde auch das Wahlsystem für den Nationalrat ändern – zum Beispiel, dass die eine Hälfte vom den KantonsbürgerInnen, die andere von den SchweizerbürgerInnen gewählt würde. Solche Zwischenschritte scheut man im Bundesstaat seit seinem Bestehn, selbst für ParlamentarierInnen. Bei Bundesräten will man aber im Nu von Null auf Hundert!

Da bin ich mir ganz sicher: Der/die „erfolgreiche“ PolitikerIn würde nach Medieneignung und finanzieller Potenz gewählt, nicht nach dem Kompetenzprofil.

Das wissen letztlich alle, die sich eingehend mit PräsidentInnen-Wahlen durch das Volk beschäftigt haben. Sie akzeptieren das, denn sie wissen, dass ein Staats- oder Regierungschef mit sachkundigen MinisterInnen umgehen wird. Wenn man, wie in der Schweiz auf diesem Weg Mitglieder einer Kollektivregierung auf nationalstaatlicher Ebene sucht, hat das auf der ganzen Welt kein Vorbild.

Das Argument, in den Schweizer Kantonen habe man das auch, sticht meines Erachtens nicht. Denn Grösse macht etwas aus; und eine Bundeswahl muss sieben Mal mehr Leute involvieren als eine Regierungsratswahl im Kanton Zürich, dem noch einwohnerstärksten Kanton der Schweiz.

Mit der Grösse verändern sich Struktur und Kultur. Nicht zu unrecht, argumentiert man, die Konkordanz funktioniere auf Kantonsebene von Ausnahmen abgesehen gut, auf Bundesebene dominierte dagegen das Alternanz-Denken. Das hat mit einer anderen Medienlandschaft zu tun, mit differenter Interessenartikulation durch Verbände und mit einer Parteienlandschaft, die bundesweit klar polarisierter ist als in den Kantonen.

Genau deshalb sollte man noch so überzeugende Analysen von kantonalen Regierungsratswahlen nicht zu schematisch auf Bundesratswahlen übertragen.

Claude Longchamp