Ein politologisch erst- (und wohl ein)maliges Experiment

Was politisch als Zwängerei daher kommen mag, ist politologisch ein spannendes Experiment: Ein Vergleich der beiden Bauspar-Initiativen, über die die SchweizerInnen 2012 entscheiden.

Am 11. März 2012 entschieden die StimmbürgerInnen, die Volksinitiative “Für ein steuerlich begünstigtes Bausparen” abzulehnen. 43,4 Prozent betrug die Zustimmung bei Volksmehr. Damit war die Sache gescheitert. Am 17. Juni 2012 stimmen wir über die “Schwester-Initiative” ab; “Eigene vier Wände dank Bausparen” heisst das Projekt. Die Zielsetzungen beider Volksinitiativen sind gleich: Der Erwerb von Hauseigentum soll steuerlich begünstigt werden. Die Fördermittel sind verschieden: Die erste Bausparvorlage wollte die Kantone ermuntern, fiskalische Begünstigungen einzuführen, die zweite zwingt sie, das zu tun.

In vielen politisch motivierten Kommentaren wurde die zweifache Abstimmung innert dreier Monate kritisiert. Den Initiativkomitees wurde Eigenprofilierung vor Sachfrage vorgeworfen, und an die Adresse des Bundesrates ging die Klage, die direkte Demokratie zu stressen.

Was politisch als Zwängerei daher kommen mag, ist politologisch jedoch ein spannendes Experiment. Warum?

Am Abend des 17. Juni 2012 werden wir die Abstimmungsergebnisse vergleichen können: Wir werden generelle Präferenzen der Kanton zum Bausparen an sich kennen, und wir werden eine Abschätzung machen können, ob gemässigte oder radikalere Initiativen eine höhere Annahmechance haben.

Bereits heute können wir Meinungsbildungsprozesse vergleichen, denn es stehen erste vergleichbare Umfragen zur Verfügung, die jeweils rund 7 Wochen vor der Volksabstimmung erstellt wurden.

Einige findige JournalistInnen zeigen sich heute erstaunt, dass die momentane Zustimmungs zur anstehenden Initiative etwas höher sei als der Ja.-Anteil bei der abgelehnten Vorlage.

Das ist so nicht richtig. Denn man erkennt die Zustimmungsbereitschaft nur, wenn man Aepfel mit Aepfeln vergleicht – sprich Werte aus Vorbefragungen unter einander in Beziehung setzt. Und man darf dabei die variable Beteiligung(sbereitschaft) nicht unterschlagen. Dafür muss man die Ja- und Nein-Prozentwerte aus Vorbefragungen mit den Beteiligungsabsichten in eben diesen Erhebungen multiplizieren. Dann sieht das wie folgt aus:


SB: Stimmberechtigte, TW: Teilnahmewillige (Tabelle anklicken um sie zu vergrössern)

Mit anderen Worten: Geringer als vor drei Monaten sind im Umfragenvergleich

– die Teilnahmeabsichten
– die Zustimmungsbereitschaft und
– die Unschlüssigkeit

Grösser geworden ist dagegen die Ablehnungsbereitschaft. Verschwunden ist damit der scheinbare Widerspruch!

Nun dürfen auch die beiden Ausgangslagen nicht einfach fix auf das erwartete Abstimmungsergebnis vom 17. Juni 2012 übertragen werden, Denn es kommt zweimal auf die Richtung und das Ausmass des Meinungsbildungsprozesse an. Einfacher ist es, ersteres abzuschätzen: Nach aller Erfahrung steigt der Nein-Anteil, und sinkt der Ja-Anteil – jeweils unter den Teilnahmewilligen- Diese werden während eines Abstimmungskampfes etwas zahlreicher. Konkret: Zu erwarten ist, dass die Beteiligungsbereitschaften bis Mitte Juni leicht zunehmen, dass der ausgewiesene Nein-Anteil in den Umfragen stark wächst, und allenfalls auch der Ja-Anteil noch etwas sinkt. Damit ist das Szenario., dass auch die zweite Initiative angelehnt wird, wahrscheinlicher als das Umgekehrte.

Wie gross die Veränderungen sind, weiss man jedoch nicht. Denn sie hängen von den Kampagnen Pro und Kontra und der Mobilisierung durch die Gesamtheit der Abstimmungsthemen ab. Das kann schlicht niemand vorwegnehmen. Diese Beurteilung wird man erst am Abstimmungstag machen können.

Bis dann gilt: Zwei sehr ähnliche Abstimmungen in kürzester Zeit führen dazu, dass die Unschlüssigkeit unter den Teilnahmewilligen sinkt, und zwar Gunsten der Mehrheit in der ersten Abstimmung. In unserem konkreten Fall zugunsten der Ablehnungsbereitschaft. Das ist eigentlich genau das, was man erwarten konnte.

Am Abstimmungstag wird man auch eine Antwort haben, welche Vorlage mehr Ja resp. Nein bekam. Und damit sagen können, ob gemässigtere oder radikalere Volksinitiativen mehr Zustimmung bekommen.

So viel heute zum politologisch erst- und wohl auch einmaligen Experiment!

Claude Longchamp