ParteipräsidentInnen und Wahlenentscheidungen

Wer nüchtern analysiert, geht von sachpolitischen Präferenzen aus, mit denen WählerInnen Parteiprogramme beurteilen. Wer etwas impulsiver ist, weiss, das Parteiidentifikation heute über Köpfe mit Ausstrahlung hergestellt wird. Ich empfehle den heute gewählten PräsidentInnen und ihren Parteien einen Mix!

Eine systematische Analyse der Einflussfaktoren auf Wahlentscheidungen zeigt, dass bei vier der fünf grössen Parteien in der Schweiz das Profil des Präsidenten die Wahl mitbeeinflusst hat. Einzig bei den Grünen war das nicht der Fall. So gesehen ist die GPS der Sieger des samstäglichen Wahlmarathons, denn FDP, CVP und eben die GPS bestimmten heute ihre Parteispitzen neu.

Die Grünen entschieden sich für Frauenpower. Die beiden neuen Nationalrätinnen, Adèle Thorens aus der Waadt und Regula Rytz aus Bern, sollen die Partei (sprachregional differenziert) in die Zukunft führen. Damit wurde der bisherige Präsident, Ueli Leuenberger, abgelöst, dem es, trotz perfekter Zweisprachigkeit, nicht gelang, die verschiedenen Sensibilitäten dies- und jenseits des Röschtigraben gewinnbringend zu vereinen. Das letzte Wahlbarometer 2011 zeigte nämlich nur bei den Grünen keine nachweislichen Effekte des Präsidenten auf die Wähleransprache. Mit der Rückkehr zu Präsidentinnen, knüpft die GPS dort an, wo sie bis vor 4 Jahren stand und Wahlerfolge feierte, und sie kann sich in Präsidentenrunden sichtbarer von SP und GLP abgrenzen.

Anders beurteilen muss man die Präsidentenwahlen bei FDP und CVP. Die CVP bleibt bei Christophe Darbelley, dem Walliser Nationalrat, während die FDP neu auf Philipp Müller, dem Aargauer Volksvertreter, setzt. Beide Parteien punkteten gemäss der gleichen Untersuchung 2011 beschränkt mit ihren PräsidentInnen im Wahlkampf. Die CVP verbessert sich mit dem heutigen Entscheid nicht, während die FDP den Anfang sucht. Symptomatisch für die FDP, dass sie ihren mit ihrem bisherigen Leutchturm den Anker in der deutschsprachigen Schweiz auswirft, und ihn in die Richtung auswirft, wo sie bisher von der SVP konkurrenziert wurde. Themenkorrekturen in Migrations- und EU-Fragen haben diesen Schritt vorbereitet, jetzt geht es um einen neuen kommunikativen Auftritt, um einige der bisherigen Schwächen anzugehen. Nur bei der CVP dominiert das Bisherige. Wohl setzt man darauf, dass der mediengewandte Christophe Darbelley vorerst nicht gleichwärtig ersetzt werden kann, die grosse Rochade in ein bis zwei Jahren stattfindet und für den Neustart der Partei eh die frühere Präsidentin und heutige Bundesrätin Doris Leuthard zuständig ist.

Die systematische Auswertung des Wahlbarometer 2011 lässt erkennen, dass jenseits der Persönlichkeiten von ParteipräsidentInnen ein Mix die Wahlausgänge bestimmt: Momentan will man Parteien, die sich ungebefangen von Geschichten und Geschichte den Herausforderungen der Zeit annehmen. Diese orten, wie es in der Natur der Sache liegt, nicht alle gleich! Aber alle spüren, dass nach den Brüchen in der jüngsten Vergangenheit mehr als nur Bewährtes braucht, das angesichts unsicherer gewordener Verhältnisse in der EU-Frage, in der Energieversorgung, bei Migationsproblemen und belastendenen Frankekursen Zukunftsbewältigung angesagt ist. Mehr oder weniger ist auch klar geworden, dass das Tagesgeschäft viel Flexibilität braucht, diese aber nicht beliebig interpretiert werden darf, sondern in eine werteverankerte Politik eingebettet sein muss. Von den Grünen erwartet man längst ein Feuerwerk zur Erneuerung ökologischer Werte, von der FDP ein Engagement für vernünftige Wirtschaftswachstum und von der CVP mehr Nachdruck für eine zeitgemässe Gemeinschaft. Denn alles, was man dazu gesehen hat, reicht nicht mehr, wirkt etwas abgedroschen und muss schleunigst von den Protagonisten erneuert werden. Das müssen sich Adèle Thorens, Regula Rytz, Philipp Müller und ganz besonders Christophe Darbelley hinter die Ohren schreiben!

Last but not least: Die zentrale Herausforderung für alle neu gewählten PräsidentInnen von heute sind die kommenden Nationalratswahlen. Denn von ihnen erwartet man, dass sie ihre Parteischiffe auf Kurs bringen, 2015 wieder mehr Passagiere befördern. Das beginnt mit der kohärenten politischen Positionierung, vor allem gegenüber der Konkurrenz im Parlament, wenn es um Themen und Mehrheiten geht, aber auch auf den Märkten volatil gewordener BürgerInnen. Der Aufschwung von GLP und BDP zeigt, dass es vor allem im Zentrum einiges zu verbessern gibt.

Die Kursbestimmungen setzen sich in den Wahlkampfvorbereitungen fort, die schonungslos Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken aufzeigen müssen, damit die Wahlkämpfe nicht nur die bisherige Wählerschaft anspricht, sondern auch neue Schichten unter Nichtwählenden, PersonenwählerInnen und parteipolitischen Schwankenden erschliessen.

Denn das ist eine der grossen Gemeinsamkeiten der heutigen Präsidiumswahlen: Mit ihnen hat ein Teil der Wahlverliererinnen 2011 die Segel Richtung 2015 gestellt, der aufbauend an der Schweizer Politik arbeiten und nicht einfach vom Misstrauen in die Zukunft, den Staat und die Politik profitieren will!

Claude Longchamp