Im Kanton Thurgau legt die BDP am meisten zu – es verliert vor allem die SVP.

Der Kanton Thurgau hat gewählt. Gestärkt worden ist damit in erster Linie die neue Mitte. Elektoral verloren hat vor allem die Rechte. Die Wahlbeteiligung ist auf dem historischen Tiefststand.

Die Wahlsiegerin im Kanton Thurgau heisst BDP. Sie erobert 5 der 130 Grossratssitze und erreicht damit auf Anhieb Fraktionsstärke. Gewinne gibt es auch für die GLP (neu 6), EDU (neu 6) und SP (neu 19). Grosse Verliererin der Parlamentswahlen in Ostschweizer Kanton ist die SVP. Zwar bleibt sie grösste Partei, duch verliert sie mit 10 Abgängen einen Fünftel ihrer bisher 51 Sitze. Kleine Verluste gibt es auch für die GP (-2/9), EVP, CVP (je -1/5 resp. 21). Halten kann sich die FDP (18).

Wahlanalysen im eigentlichen Sinne liegen aus dem Kanton Thurgau noch keine vor. In den ersten Kommentaren wird auf die neue Wahlkreiseinteilung verwiesen, welche kleinere Parteien begünstige, und auf die BDP als neue Partei, welche das Lager rechts der Mitte neu aufgemischt habe. Für die Verluste der SVP werden auch äussere Faktoren verantwortlich gemacht, so die Involvierung eines (wiedergewählten) SVP-Mitgliedes des Parlamentes in die Hildebrand-Affäre.

Festhalten muss mab zu allererst, dass die Wahlbeteiligung sank. Mit 30.8 Prozent erreichte sie den historischen Tiefstwert für den Kanton. Gegenüber 2008 bedeutet dies einen Rückgang von 3,1 Prozentpunkten, oder anders gesagt: Ueberschlagsmässig hat sich jeder 10. Wähler, jede 10. Wählerin vor vier Jahren nicht mehr beteiligt. Demobilisierung wird damit zum wichtigste Stichwort jeder Analyse.

Doch der Reihe nach: Stellt man nicht auf die Sitzzahlen, sondern auf die Prozentwerte zu den Parteistärken ab, resultieren die gleiche Gewinnerinnen- und Verliererinnen. Indes, die Proportionen sind anders. So verliert die SVP anteilsmässig weniger; es bleibt aber immer noch ein Rückgang von einem Siebtel. In Prozentpunkten beträgt der Verlust 5.3 Prozent; neu kommt sie auf 30.5 Prozent. Zweitergrösste Verliererin in die CVP. Sie büsst 2 Prozentpunkte ein und kommt neu auf 13.9 Prozent. Die GP hat einen Rückgang von 1.5 Prozentpuntken (neu7.7%), während die EVP von 5.2 auf 4.8 Prozent fällt.

Die grössten Gewinne gibt es wiederum für die BDP, sie kommt bei ihrer ersten Wahl auf 4.8 Prozent. Auch die GLP legt mit einem Plus von 3,4 Prozentpunkten recht kräftig zu; neu hat sie einen Anteil von 5.9 Prozenten. EDU und SP verstärken sich um je 0,6 Prozentpunkte. Die SP ist neu bei 13,6, die EDU bei 4,6 Prozenten. Marginal zulegen kann hier auch die FDP, die sichvon 14 auf 14,2 Prozent verbessert.

Damit überholt die FDP die CVP zwar nicht in der Mandatsstärke; bei der Wählerstärke ist sie neu die Nummer 2, hauchdünn vor der CVP und der SVP. Dahinter folgen GP, GLP, EVP, BDP und EDU. Die GLP überholt damit die EVP und die EDU, letztere wird auch von der BDP überholt.

Die Bilanz lautet damit: Gestärkt worden ist damit in erster Linie die neue Mitte. Elektoral verloren hat vor allem die Rechte, marginal auch die Linke: von Polarisierung, aber auch von Rechtsrutsch keine Spur mehr!

Ohne Wählerstromanalysen bleibt es Spekulation, wer von wem Wählende gewinnen konnte. Aus der Erfahrung heraus kann man aber vermuten: Die Demobilisierung hat namentlich der SVP geschadet, sie hat auch eine negative Wanderungsbilanz zur BDP. Diese und die GLP sind wohl auch Konkurrentinnen für die CVP, letzter in erster Linie auch für die GP.

Wellen geworfen haben die Thurgauer Wahlen 2012 keine. Von einem Aufbruch, wie er noch 2004 und 2008 zu spüren war und die Wahlbeteilgung ansteigen liess, war diesmal nichts mehr zu spüren. Gestoppt worden ist dafür der Rechtsruck des Kantons, wie die SVP auf Spitzenwerte kam.

Die erheblichen Wahlverluste für die wählerstärkste Partei reihen sich in die Serie ein, die spätestens bei den Nationalratswahlen sichtbar wurde. Angefangen hat sie jedoch mit den Parlamentswahlen im Kanton Zürich vor genau einem Jahr. Seither sind verschiedene Hochburgen der SVP erfasst worden. Hauptgrund ist, dass die Mobilisierungsfähigkeit stark nachgelassen hat. Das beginnt bei den Kampagnen, die nicht mehr im gleichen Masse zünden wie man das gewohnt war, was sich negativ auf die Medienaufmerksamkeit auswirkt. Es setzt sich aber auch bei den umstrittenen Personen fort, die vor allem vom Durchschnitt der WählerInnen kritischer beobachtet und beurteilt werden als auch schon. Neu ist, dass dieser Trend weg von der Homogenisierung auch eine Kantonalpartei erfasst haben, die als gemässigt galt, am ehesten noch wie eine traditionelle Volkspartei politisiert.

Profitiert haben davon verschiedene Parteien, im Thurgau beispielsweise die EDU; sie füllt einen kleine Teil des entstandenen Vakuums. Darüber hinaus wiederholt sich das Wahlergebnis bei den gesamtschweizerischen Nationalratswahlen 2011 auch in anderer Hinsicht. Denn mit der BDP und GLP haben zwei neue, unverbrauchte Parteien, die im Zentrum politisieren Erfolg. Den vermisst vor allem die CVP, er bleibt aber auch bei der GP aus, während FDP und SP etwas besser wegkommen als dies gesamtschweizerisch der Fall war.

Claude Longchamp