Politikprognosen mit Tücken

Seit den Wahlen 2011 haben die bekannten Wahlbörsen wie “wahlfieber” Konkurrenz bekommen. Mit “Politikprognose” ist ein Vorhersagemarkt neuen Typs hinzu gekommen.

Wahlfieber kennen meinen LeserInnen hinreichend. Ich habe die Leistungen der offenen Wahlbörsen, die Stärken und Schwäche mehrfach beschrieben. Politikprognosen ist nicht einfach ein zusätzliches Beispiel hierzu. Vielmehr handelt es sich um einen Prognosemarkt, der nicht auf die Weisheit der Vielen, sondern die Weisheit der Guten setzt. Anders aber als Expertengruppen (wo man sich untereinander kennt (und damit potenziell beeinflusst), basieren die Politikprognosen auf anonym gemachten Vorhersagen gut informierter Fachleute.

Die Leistungen von Politikprognosen bei den jüngsten eidgenössischen Abstimmungen blieben durchzogen. Vier Tage vor der Abstimmung richtig und präzise waren die Vorhersagen zur Buchpreisbindung einerseits, der Bauspar-Initiative anderseits. Korrekt waren die Prognosen bei der Ferien-Initiative und den Geldspielen; indes, die Abweichungen waren beträchtlich. Das gilt auch für den Ausgang der Zweitwohnungsinitiative – hier kommt erschwerend hinzu, dass die Mehrheit falsch war, ging man doch von einer Ablehnung der Vorlage aus.

In einer kurzen Manöverkritik gehen die Macher von Politikprognosen, die an verschiedenen europäischen Universitäten tätig sind, von zwei Ursachen für die Probleme aus: dem Thema und den Teilnehmern. Alles wird darüber hinaus von der zur Verfügung stehenden Information bestimmt. Ist sie aktuell gering, bleiben Vorhersagen dieser Art erschwert; das gilt zusätzlich, wenn es sich um unübliche Themen und Konfliktkonstellationen handelt. Denn dann versagen auch die beiden wichtigsten, intuitiven Quellen der Expertenvorhersage, ob als Focusgruppe oder als anonymes Panel. Unerwähnt bleibt dabei, dass die Popularbörsen, dort, wo sie eingesetzt wurden, besser als die Expertenbörsen waren.

dispo

Vor über 10 Jahren habe ich erstmals dieses Thema auch aufgriffen, und vorgeschlagen, 4 Quellen der Information systematisch beizuziehen:

. die Empfehlungen der Behörden sowie die Parolen der Parteien
. die Intensitäten und Dynamiken der Kampagnen
. die Problemdeutungen der BürgerInnen und ihre Lösungspräferenzen sowie
. das allgemeine politische Klima

Frei verfügbar sind nur die erste Quelle. Die dritte steht Interessierten mehr oder minder vollständig über die SRG-Umfragen zur Verfügung. Zweiteres wird gelegentlich geleistet, beispielsweise durch das fög der Uni Zürich, oft ist es aber erst im Nachhinein verfügbar, und damit für direkte Prognosen unbrauchbar.
Das allgemeine Klima wiederum können alle bestimmen; indes, es ist nicht einfach zu quantifizieren.

Werte Kollegen, vielleicht hilft euch das weiter, bei den Prognosen für den 17. Juni 2012. Bonne Chance!

Claude Longchamp