Die zweite Vorlesung zur „Wahlforschung in Theorie und Praxis“ an der Uni Zürich bot Anlass, über die Eigenheiten der Konkordanz-Diskurse in Politik und Politikwissenschaft und den Reformvorschlägen, die daraus resultieren, nachzudenken.
„Ich kandidiere zur Wiederherstellung der Konkordanz“, sagte Bruno Zuppiger kurz nach seiner Nomination als Bundesratskandidat 2011. Faktisch meinte er, mit seiner Bewerbung gegen Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf antreten zu wollen. Den Rest der Geschichte kennen wir. Zuppiger musste wegen Anschuldigungen seine Kandidatur zurückziehen; der nachnominierte Hansjörg Walther wurde nicht gewählt; die SVP ist unverändert mit nur einem Sitz im Bundesrat vertreten; sie hat, vorübergehend lautstark, den „Bruch der Konkordanz durch die andern“ beklagt, um dann doch mit nur einem Vertreter im Bundesrat zu bleiben.
PolitikwissenschafterInnen, die sich wie amerikanisch-niederländische Politikwissenschafter Arend Lijphart ein Leben lang mit dem Thema „Consociationalism“ auseinander gesetzt haben, kommen zu einem ganz anderen Verständnis. Konkordanz sei eine Form der Regierungsweise in tief gespaltenen Gesellschaften, um Gewalt in der Politik zu vermeiden, Demokratie zu gewährleisten und Stabilität der Regierung zu garantieren. Ausdruck der Konkordanz seien Proporzwahlrecht für das Parlament, grosse Koalitionen für die Regierung, Minderheitenschutz und Föderalismus.
Konkordanz, könnte man es zuspitzen, bestimmt sich nicht einfach nach der personellen oder parteipolitischen Zusammensetzung der Regierung; sie ist ein Demokratiemuster, der Umstände wegen.
Eben dieses Demokratiemuster der Schweiz bestimmte Adrian Vatter, Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Bern, wie folgt:
. Erstens, grundlegend sei, dass nicht die Parteien die Interessenvermittlung dominierten, sondern den Verbänden eine zentrale Rolle in der Willensbildung zukommt; das versachliche den möglichen Parteienstreit.
. Zweitens, Machtteilung werde durch die hohe Bedeutung der Kantone im schweizerischen Politsystems nachhaltig garantiert; das relativere die Möglichkeit, zentral eine Politikrichtung vorzugeben.
. Drittens, die durchdeklinierte direkte Demokratie in der Schweiz begünstige die BürgerInnen-Partizipation auf allen Stufen; sie wirke mässigend auf politische Einseitigkeiten aus, die sie durch Volksentscheidungen korrigiere.
Mit letzterem geht typischerweise einher, dass Konkordanz auf einer Mehrparteienregierung basiere, die mehr als die knappest mögliche Mehrheit integriere. Nicht entgangen ist Vatter, dass Konkordanz heute auf kantonaler und Bundesebene unterschiedlich gut funktioniere; der Wandel weg vom Spezialfall hin zum Normalfall finde hier schnell statt als in den Kantonen, ohne jedoch schon dort angekommen zu sein.
Wenn Determinanten des politischen Systems auf Konkordanz ausgerichtet bleiben, ein zentrales Element, das Parteiensystem auf Bundesebene mit seiner Aufteilung in neue Akteure und polarisierte Parteien, jedoch in eine andere Richtung weist, stellt sich die Frage, was verändert werden muss. Ich denke, es gibt unter den hiesigen Politologen heute drei typische Antworten darauf:
. Einmal, Regierungskonkordanz bleibt zentral, sie muss aber institutionell erneuert werden, um den veränderten Bedingungen in Medien, Parlament und Regierung Rechnung zu tragen.
. Sodann, das Politsystem ist überholt und muss den neuen Entwicklungen in den Parteien entsprechend in Richtung Alternanz umgebaut werden.
. Schliesslich, die Regierung soll inskünftig alle jene Parteien umfassen, die sich langfristig an konkordanten Regeln ausrichten wollen.
Letzteres vertritt beispielsweise der Genfer Politikwissenschafter Pascal Sciarini; er spricht dabei von der kleinen Konkordanz, die funktionsfähig bleibe, auch wenn auf eine Polpartei im Bundesrat verzichtet werde. Zweiteres ist das Steckenpferd von Hanspeter Kriesi, Politologieprofessor in Zürich, demnächst in Florenz, der die SP auffordert, in die Opposition zu gehen, sich umfassend zu erneuern und so den politischen Kampf mit der erstarkten Rechten in einem veränderten System aufzunehmen. Ersteres wiederum propagierte jüngst Michael Hermann mit seinem Plädoyer für eine Revitalisierung der Konkordanz durch Elemente der Volkswahl des Bundesrates, des Schiedsgerichtes durch das Volk bei uneinigen Parlamentskammern und durch Aufwertung der Bundeskanzlei zu einem Präsidialdepartement mit besonderen Befugnissen.
Ich selber bin ja immer wieder erstaunt zu sehen, wie gut der Sog funktioniert, dass man als grosse Parteien nur in der Regierung Erfolge für die eigene Wählerschaft erzielt, selbst wenn man Probleme auf sich lädt. Denn insbesondere das Kollegialsystem wirkt nachhaltig einschränkend auf die Profilierungsmöglichkeiten einer Regierungspartei.
Konkordanz ist deshalb eine Herausforderung für politische Parteien, die dauerhaft Erfolg haben wollen, die sie nicht unterschätzen sollten. Ohne Anpassungsleistungen der Parteien an die mehr oder weniger garantierte Teilhabe an der Regierung kann das Demokratiemuster nicht überleben, das bei aller Veränderbarkeit der Schweiz durchaus angemessen bleibt.
Claude Longchamp
Die Frage ist, welche Anpassungsleistungen von den Parteien zu erwarten sind. Der Rückhalt der Konkordanz innerhalb der Parteien scheint zu schwinden. Nach aussen stellen sich alle hinter unser Regierungsmodell, und doch definieren sie die Konkordanz je nach Situation um, wie es für sie gerade passt. Im Zeitalter von Politmarketing und parteipolitischer Profilierung eignen sich Kompromisse eben schlecht dazu, Wähler zu mobilisieren.
Die Konkordanz liegt durchaus im Interesse des Landes, aber liegt sie noch im Interesse der Parteien?
Das ist ja meine These: Es gibt gute Gründe für die Konkordanz, doch passen die Entwicklungen einzelner Parteien nicht mehr dazu.
CVP nd FDP wirken aufgebraucht, GLP und BDP sind keine genügenden Stützen. Die SP profitiert von der Konkordanz, kann die Linke aber nicht mehr alleine abdecken, schwankt deshalb gelegentlich. Die SVP schliesslich versucht das Kunststück, das nationalkonservative Lager für sich alleine beanspruchen zu können, mit dem Preis, sich namentlich in Wahljahren nur beschränkt konkordant zu verhalten.
Indes, keine Partei hat eine Aussicht, alleine regieren zu können.Selbst Koalitionen zwischen zwei Parteien geben schweizweit keine gesicherten Mehrheiten. Eine Weile lang war das ja das Ziel von SVP und FDP, ohne dass es wirklich funktoniert hat. Und wenn SP und CVP zusammengehen, braucht es die Unterstützung der Grünen, um gesicherte mehrheitsfähig zu werden, was auch nicht viel Sinn macht.
Nun lebt Konkordanz auch davon, dass man sie will. Das ist vor allem eine Entscheidungen der Parteieliten. Insgesamt kommt man hier zum Schluss, dass man sie, nüchtern betrachtet, mangels Alternative akzeptiert, jedoch, bei jeder sich bietenden Gelegenheit etwas anderes macht. Sachpolitisch ist das nicht einmal bedenklich; das wäre es nur, wenn man von einer Konsenspolitik im puren Sinnen ausgehen würde. Das schweizerische Konkordanzmodell erlaubt dagegen wechselnde Mehrheiten. Das Problematische aus meiner Sicht wenigstens, ist die Populismus, die Mobilisierung gegen die Regierung, zu der man selber zählt, die von PolitikerInnen, Parteien und Medien mit schöner Regelmässigkeit betrieben wird. Da wäre mehr Bewusstsein der politischen und medialen Eliten angezeigt. Wohl ist es das, was ich mit Anpassungsleistungen meinte.