Die gläsernen ParlamentarierInnen

(zoon politicon) Ein Spezialzweig der Abstimmungsforschung beschäftigt sich mit dem Wahlverhalten der Parlamentarier. Deren Verhalten ist namentlich durch die elektronische Stimmabgabe im schweizerischen Nationalrat transparenter geworden.

Das Projekt der Forschungsgruppe sotomo
Michael Hermann und Heiri Leuthold, zwei promovierte Geografen der Forschungsgruppe sotomo an der Uni Zürich, haben sich mit ihren Untersuchungen des Abstimmungsverhaltens von Parlamentariern in den letzten 5 Jahren die grösste Innovation in der empirischen Politikforschung der Schweiz vollbracht. Ihre politische Karte des Nationalrats lässt zunächst die Positionierung eines jeden Mitgliedes dieses Rates zu.

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Beispielhafte Darstellung der Positionen der ParlamentarierInnen resp. Fraktionen im eidg. Parlament 2003-2007 unter www.parlamentsspiegel.ch

Für den Zeitraum 2004-2007 wurden hierzu alle 1300 Namensabstimmungen in der Grosse Kammer des schweizerischen Parlaments ausgewertet. Statistisch gesprochen geschah das mit der sehr leistungsfähigen mehrdimensionalen Skalierung; visualisiert wurde es mit kartografischen Mitteln.

Der Vorteil dieses Vorgehens besteht darin, dass keine normativen Vorgaben gemacht werden, was linkes oder rechts Abstimmungsverhalten ist, sondern die Entscheidungen jede(r) ParlamentarierIn in Relation zu den Entscheidungen aller anderer gespiegelt wird.

Mit dieser Methode kann die Nähe resp. Distanz zwischen zwei oder mehreren ParlamentarierInnen bestimmt werden. Wenn die Fallzahl hoch genug ist, kann dies bei konstant bleibenden Achsen auch über die Zeit, beispielsweise im Legislaturvergleich verfolgt werden werden.

Das Vorgehen erlaubt es auch, die mittlere Position der Fraktionsmitglieder zu bestimmen und so die Fraktionen gleich wie ParlamentarierInnen zu verorten. Das wiederum lässt den Positionsvergleich von Fraktionen zueinenander zu, womit ein plastisches Bild der politischen Landschaft der Schweiz im Parlament entsteht.

Vorteilhaft ist, dass die so ermittelten Ergebnisse auch auf Internet verfügbar sind. Die interaktiv nutzbare Datenbank “Parlamentsspiegel” erlaubt insbesondere eigene Recherchen nach Personen, Parteien und Themengebieten.

Analyse für die politische Praxis
Insbesondere Michael Hermann hat diese Datenbank in den vergangenen Jahren mehrfach gewinnbringend verwendet, um zur Position der Fraktionen Stellung zu nehmen. Enen spannenden Versuch hat der Autor unmittelbar nach den Nationalratswahlen von 2007 unternommen. Dabei hat er mit der gleichen Methode die Antworten der gewählten Nationalräte, die sie bei smartvorte abgegeben hatten, analyisiert und sei ein prospektives Profil der Fraktionen erstellt für die Legislaturperiode von 2007-2011 gezeichnet.

Diese Prognose legt nahe, dass sich namentlich die neu gewählte CVP-Vertretung in Richtung reformorientierter Mitte bewegen wird und gemeinsam mit den VertreterInnen der FDP, der LP und der glp Modernisierungspolitiken unterstützen wird. Politisch steht die Fraktionen, die aus CVP, EVP und glp entstanden ist, der FDP/LP am nächsten, während sie von SP, Grünen und SVP etwa gleich weit entfernt sein wird.

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Positionierung der politische Parteien der Schweiz im zweidimensionalen Raum aufgrund der Namensabstimmungen im Nationalrat und aufgrund der Antworten der Gewählten 2007 bei smartvote (Quelle: sotomo)

Bezogen auf die beiden hierfür unterschiedenen Achsen kann man anhand der Nationalräte die folgenden Parteiklassierungen vornehmen:

. von links nach rechts: PdA, Grüne, SP, EVP, glp, CVP, EDU, LP, FDP, SVP
. von modern nach traditionell: glp, FDP, LP, CVP, SP, EVP, Grüne, PdfA, SVP, EDU


Meine Bewertung

Mir gefällt an diesen Klassierungen insbesondere, dass sie versuchen, empirisch gestützte, aktuelle politische Daten zu generieren, die in der politischen Debatte von Relevanz sind und die klassische Aufgabe der Forschung für die Praxis erfüllen: nämlich vermehrt Rationaliät in politische Entscheidungsgrundlagen zu bringen.

Claude Longchamp