Das haben wir dieser Tage bis zum Ueberdruss gehört. Das Parlament bestehe aus zwei Blöcken: den Mitte/Links-Parteien und der SVP. Die zurückligende Session lehrt uns eines bessern: Unverändert wird die Szenerie durch wechselnde Allianzen beherrscht, bei denen die Fraktionen der CVP/EVP, FDP, BDP und GLP den Ausschlag geben.
Zwei Mal knapp, aber unterschiedlich: Mitte/Links bringt die Verfassungsgerichtsbarkeit durch, während Rechts und Teile der Mitte die Bonussteuer versenkt.
Politnetz wartet mit der neuen Legislatur mit einer tollen Innovation auf. Die “Abstimmungsergebnisse im Nationalrat” werden schnell aufgearbeitet handlich nachschlagbar gemacht. Die Neuerung erlaubt es, seine ParlamentarierInnen zu verfolgen, wie auch die Allianzbildung in den Sachgeschäften einzuschätzen.
Angenommen wurden
. die Bekämpfung des Menschenhandels (mit 160:5)
. das Integrationsrahmengesetz (mit 150:42)
. die Strafbarkeit von Rasern (mit 132:37)
. das Verbot von Streumunition (mit 120:58)
. die Adpotion ab 30 (mit 116:45)
. die Vereinbarkeit von Volksinitiative und Grundrechten (mit 103:55)
. die Erhöhung der Direktzahlungen an die Landwirtschaft (mit 99:79) und
. die Verfassungsgerichtsbarkeit (mit 94:83).
Bei der Bekämpfung des Menschenhandels kann man nicht von einer Konfliktlinie im Parlament sprechen; das regierte der Konsens. Anders sieht es bei den übrigen angenommen Vorlagen aus. Sie wurde meist gegen die Stimmen der opponierenden SVP angenommen. So blieb die grösste Fraktion bei der Strafbarkeit von Rasern alleine, nicht aber bei der Verfassungsgerichtsbarkeit, wo die SVP mit ihrer Ablehnung weit in FDP und CVP- Kreise ausstrahlte, während beim Grundsatzentscheid zu Volksinitiativen und Volksrechten namentlich die FDP-PolitikerInnen zu Minderheit hielt. Gerade umgekehrt verliefen die Fronten bei der Erhöhung der Direktzahlungen an die Landwirtschaft. Da setzten sich SVP und BDP, unterstützt von Teilen der CE, FDP und GLP durch, während SP und GPS unterlagen.
Abgelehnt wurde zudem
. die Sanierung von Zebrastreifen (mit 98:133)
. die Bonussteuer (mit 85:98)
. die Vereinheitlichung des Mehrwertsteuersatzen (mit 58:120)
. die verfassungsmässige Verankerung des Bankkundengeheinnisses (mit 13:172)
Die Allianzbildung ist hier eindeutig komplexer. Die Sanierung der Zentrastreifen scheitert am Nein der traditionellen bürgerlichen Fraktionen. Bei der Bonus-Steuer war die CVP auf der Ja-Seite, dafür verhalten GLP und BDP der Gegnerschaft zum Durchbruch. Bei der Vereinheitlichung der Mehrwertsteuer stimmten FDP und GLP dafür, alle anderen Fraktionen jedoch dagegen, und bei der Verankerung des Bankkundengeheimnisses in der Bundesverfassung sah sich die zustimmende BDP von allen übrigen Fraktionen isoliert.
Daraus kann man vier, deutlich differenziertere Schlüsse als die einleitend zitierte Schematisierung ziehen:
Erstens, keine Fraktion setzte sich immer durch, keine verlor konstant.
Zweitens, erfolgsversprechend sind von links getragene Allianzen, wenn sie Mehrheiten CVP und FDP auf ihrer Seite wissen, während Bündnisse, die von rechts bestimmt werden, auf die gleichen Fraktionsmehrheiten setzten müssen.
Drittens, Vorlagen, welche die traditionellen bürgerlichen Fraktionen nicht unterstützen, scheitern genauso, wie solche bei denen sich GLP und BDP einer kritischen Allianz aus SVP und FDP anschliessen.
Viertens, Profilierung einzelner Fraktionen gegen einen breiten Parlamentsmainstream haben selbsredend keine Chance, egal von wem sie ausgehen.
Belegt wird damit, dass (im Nationalrat) die Entscheidungen der Mitte massgeblich sind, diese aber atomisiert ist, und zwar zwischen den 4 Fraktionen, die dazu gehören können, die sachpolitischen Konfliktlinie teilweise auch quer durch die Fraktionen verläuft. Das macht die Berechenbarkeit schwieriger, gleichzeitig die wechselnden Mehrheit häufig.
Die SVP positioniert sich oppositionell, wenn sie eine Mehrheit von mitte/links erwartet. Sie sucht aber auch Bündnisse zu den bürgerlichen Partnern, hat dabei auch Erfolg, eher beim Bremsen als beim Gas geben.
An sich nicht neu, was man via Politnetz erfährt – aber transparent und sauber belegt!
Claude Longchamp
Ein wenig Ergänzung aus der heutigen NZZ am Sonntag.
In der letzten Legislagtur waren die CVP und BDP am häufigsten in der Mehrheit. in 89 Prozent alles Namensabstimmungen im Nationalrat war das der Fall. Es folgte die FDP mit 87 Prozent, vor der GLP mit 77 Prozent. Die SVP brachte es auf 64 Prozent, während die SP bei 57 Prozent blieb und damit einzig die GPS übetraf, die auf 54 Prozent kam.
Die NZZ listet die Zahlen auf die erste Session der neuen Legislatur auf: CVP (92%) vorn BDP (89%), FDP und GLP (je 81%), SP und GPS (je 63%) und SVP (54%). Ueberinterpretieren sollte man das indessen nicht, denn die Zahlen werden, bei der geringen Fallzahl, zu stark durch die Themen, unter anderem die Energiepolitik, bestimmt.
Interessanter ist das die Würdigung von Michael Hermann: “Erst mit der seit den Wahlen verflogenen Angst vor einer ewig erfolgreichen SVP bewegt sich die von der CVP angeführte Mitte wieder frei zwischen den Lagern. Die Mitte hat sich von der Umklammerung von rechts gelöst. Das heisst jedoch nicht, dass sie nun von einer erstarkten Linken vor sich hergetrieben wird. Noch immer gewinnt die FDP deutlich mehr Abstimmungen als die SP oder die Grünen.”
Ich finde, der Titel zielt ins Leere.
Das jetzige Parlament ist anders. Die grossen Parteien profitieren nicht mehr davon, in der Regierung zu sein. Nur die BDP, der man regelmässig die Bundesratsfähigkeit abstreitet, konnte zulegen. Sowie die GLP.
Zurecht mischen diese beiden Parteien die schweizerische Politik auf, indem sie sich keinem Block anschliessen. Das macht sie zwar nicht grösser, aber umso interessanter. Sie können mit CVP und/oder FDP einen Block bildet, der Gewicht hat. Sie können SVP und FDP die CVP aussen vor lassen. Nur mit SP und GP reicht es dagegen nicht.
Ich bin froh, dass wir nicht mehr die immer gleichen Allianzen haben, meist die bürgerliche, selten die ohne SVP. Denn das gibt mehr Lösungsmöglichkeiten, und lässt auch wechselnde Sieger und Verlierer zu. Genau das braucht die Konkordanz, will sie nicht erstarren.