Von der Strategie der SVP bei den Bundesratswahlen

Eigentlich ist alles ganz einfach: Die SVP will in den Bundesrat, mit 2 Hardlinern und 2 FDP-Vertreter, um die Mehrheit unter Ausschluss der CVP zu sichern. So wie es vor der Abwahl von Christoph Blocher der Fall war. Dabei überschätzte sie sich bei den jüngsten Wahlen selber, und unterschätzte sie die Entschlossenheit der Allianz hinter Eveline Widmer-Schlumpf; sie schätzte auch die Geschlossenheit der CVP falsch ein, als sich die Fraktion von den anfänglichen Zielen der Partei abzuwenden begann.

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Verwässerung der Strategie bis zur Unkenntlichkeit: SVP-Spitze nach der Wiederwahl von Bundesrätin Widmer-Schlumpf

Zur Strategie der SVP
In der einfachsten Definition handelt es sich bei einer Strategie um den möglichst direkten Weg von einem Ist- zu einem Soll-Zustand zu kommen. Abweichung davon sind möglich, indessen nur mit der Verwässerung der Strategie.

Der Ist-Zustand ergab sich im konkreten Fall aus der Abwahl von Christoph Blocher aus dem Bundesrat. Der Soll-Zustand leitet aus dem Ziel ab, die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats zwischen 2003 und 2007 wieder anzustreben, die berühmt gewordene “Wiederherstellung der Konkordanz” also: 2 Vertreter der SVP, 2 der SP, 2 der FDP und 1 der CVP. Schritt 1 vollzog man Ende 2008 mit der Wahl von Ueli Maurer. Nun sollte Schritt 2 erfolgen, durch die Abwahl von Eveline Widmer-Schlumpf und ihren Ersatz durch einen SVP-Bundesrat, der, ohne Abstriche, das Gedankengut der Partei in die Bundesregierung einbringt.

Phase 1: Der Wahlkampf
Bis zum 23. Oktober 2011 schien diese Ziel erreichbar: Die SVP strebte bei den Nationalratswahlen 30 Prozent Wähleranteil an und wollte ihre Vertretung im Ständerat klar erhöhen. Beabsichtigt war eine Schwächung der CVP. Zulegen wollte dman durch eine verbesserte Mobilisierung, indessen nicht mehr von WechselwählerInnen der FDP profitieren, denn auf die Stärke dieser Partei würde es am Tag X ankommen. Vier Sitze für SVP und FDP schienen mit dem Support der rechten Kleinparteien wie die Lega möglich.

Wir wissen es: Es kam anders. SVP und FDP verloren bei den Nationalratswahlen zusammen 5 Prozent WählerInnen-Anteil; es reichte für 42 Prozent. Auch bei den Ständeratswahlen gab es für beide Parteien Verluste. Gestärkt wurden die neuen Kleinparteien wie BDP und GLP, aber auch die SP legte an Sitzen zu. Der Durchmarsch der SVP bei den Bundesratswahlen war vorerst so gestoppt. Zudem, die Favoriten für einen Posten im Bundesrat fielen bei den Ständeratswahlen durch: Fraktionschef Caspar Baader wurde nicht gewählt, Parteipräsident Brunner scheiterte, sein Vize, Adrian Amstutz, wurde gar abgewählt. Auch für Jean-Francois Rime und Guy Parmelin reichte es nicht. Das Kompliment einer Mehrheitswahl hatte damit keiner der Favoriten. Das Ende der Phase 1.

Phase 2: Die neue Personalsuche
Ohne personelle Kompromisse würde es nicht gehen. Blocher portierte Regierungsräte aus der zweiten Reihe, gemässigte Fraktionsmitglieder mobilisierten ihre Kollegen. Denn ohne Alternativen bei den Kandidaten würden nur der Angriff auf andere Parteien bleiben, was sich mit dem Slogan zur Konkordanz nicht vertrug.
Die entscheidende Avance kam aus den Reihen der CVP; ähnlich wie die GLP verschloss sie sich einer Zweiervertretung der SVP nicht, wenn der Kandidat aus der Deutschschweiz genügend Distanz zur Führungsriege haben würde. Das Dilemma der Partei, das in Partei und Fraktion zu unterschiedlichen Antworten führen konnte, erkannte die “Weltwoche” frühzeitig und plädierte für eine Kandidatur von Nationalrat Peter Spuhler bei gleichzeitiger Firmenübernahme durch Blocher. Der Deal platzte am Desinteresse des Thurgauers.

In der Phase 2 änderte die SVP ihr Ziel nicht wirklich, passte es aber mit einem Angebot an die CVP. MIt dem nötigen Rückhalt der Fraktion und Parteispitze wurde Bruno Zuppiger, Präsident der Schweizerischen Gewerbeverbandes, nominiert. Christophe Darbelley hatte ihn, wiederum in der “Weltwoche”, demonstrativ gelobt. Diese “Weltwoche” war es allerdings, die Zuppiger, kurz nach der Nomination, mit einem gezielten Artikel diskreditierte. Die Interpretationen gehen auseinander: für Viele im Bundesbern geschah das mit Absicht, für einige mit Tolerierung der SVP-Spitze, während sich diese selbst trotz Wissen um Hintergründe überrascht gab. Ein Einer-Ticket mit Rime lehnte die FDP, die wichtigste Bündnispartnerin, ab, denn mit einem Romand war die anvisierte Bündnerin sicher nicht zu schlagen. Nachnominiert wurde Hansjörg Walther, der frisch gewählte Nationalratspräsident – mit der Hoffnung, via Bauern-Netzwerk die Phalanx zugunsten von Eveline Widmer-Schlumpf brechen zu können. Der Plan zeigte zwar gewisse Wirkungen, indessen nicht im erwarteten Ausmass, denn die CVP hatte grossmehrheitlich eine von Kandidaten unabhängige Position eingenommen und für die BDP stand die Wahl eines weiteren SVPlers in den Bundesrat ausser Diskussion. Selbst die GLP kippte, nachdem das Verfahren für Viele aus dem Tritt geraten war.
Nun zeichnete sich ab, dass auch die modifizierte Strategie scheitern würde, denn es blieb nur noch das Angebot der SP, mit einem Angriff auf die FDP zum Ziel zu kommen. Peter Spuhler sondierte übers Wochenende vor der Wahl die Unterstützung hierfür; Rime war bereit, Walther nicht.

Phase 3: Die Hektik der letzten Stunden
Die Phase 3 umfasst die Stunden vor und während der Wahl. Bestimmt war sie von der SVP-Hoffnung, die Abwahl von Eveline Widmer-Schlumpf gelinge aus der Dynamik des Verfahrens heraus. Nötig wäre gewesen, dass Widmer-Schlumpf in der ersten Runde das absolute Mehr verfehlen würde und Walther ihr im zweiten Wahlgang gefährlich nahe gekommen wäre. Auch hier kam es anders: Denn die Allianz aus SP, CVP, BDP, unterstützt von GPS und GLP, hielt weitgehend, sodass die BDP-Bundesrätin auf Anhieb mit 131 Stimmen gewählt wurde. Zudem teilten sich die Stimmen für die SVP-Kandidaten, indem Walther und Rime je ihren Support bekamen, jedoch weit weg von anvisierten Ziel waren.

Was jetzt geschah, verdient den Titel “Strategie” gar nicht. Ursprünglich angekündigt war von der SVP, die Wahlen zu unterbrechen, um sich neu aufstellen zu können. Dann erwartete man nach der Wahl von Widmer-Schlumpf eine Erklärung von Caspar Baader, der den Bruch mit der Konkordanz festhalten würde, womit sich die SVP frei fühlen konnte, jeden weiteren Sitz anzupeilen. Beides geschah nicht, wohl auch deshalb, weil das auch die Wiederwahl von Ueli Maurer gefährdet und die direkte Opposition bedeutet hätte. Zur allgemeinen Ueberraschung passierte es aber auch nicht bei der Bestätigung von Didier Burkhalter. Fast schon glaubte man, die SVP habe kapituliert.

Erst als die Wiederwahl von Sommaruga an der Reihe war, kündigte der SVP-Fraktionspräsident an, Rime stehe als Herausforderer in allen Wahlgängen zur Verfügung, während sich Walther aus dem Rennen genommen habe. Der Angriff auf die FDP wurde damit begründete, die Partei habe abmachungswidrig nicht geschlossen für die SVP und gegen die BDP gestimmt, was die Fraktionspräsidentin jedoch energisch bestritt. Nach Zeitungsberichten habe es sich um eine abrupt beschlossene Gegenoffensive des Strategiechefs Christoph Blocher gehandelt. Auch dieses Ergebnis kennen wir: Rime scheiterte drei Mal – mit abnehmender Stimmenzahl, die schliesslich unter der SVP-Fraktionsstärke war.

Drei Fehleinschätzungen der SVP
Es zeichnen sich drei Fehleinschätzung ab: Zuerst die erwarteten Wahlsiege im National- und Ständerat; dann die Unterschätzung der Eveline Widmer Schmid-Allianz, schliesslich der Grad an Ent- und Geschlossenheit der CVP. Das führte dazu, dass nur das ungeliebte Angebot der SP blieb, wechselweise als Falle Levrats oder als Geiselhaft durch die SP tituliert. In der Tat gab es für die SVP gute Gründe, nicht darauf einzusteigen, denn es war damit verbunden, auf die Abwahl von Widmer-Schlumpf zu verzichten und es hätte aus FDP-Reihen den Vorwurf provoziert, selber die Konkordanz brechen zu wollen. Denn die doppelte Doppelvertretung war das gemeinsame Interesse von SVP und FDP, sich gegen den BDP-Anspruch zu stellen. Das hatte nicht nur eine machtpolitische Begründung; es war auch dadurch legitimiert, dass die Mehrheit für beide Parteien nur durch einen dritten Sitz für die SVP in der Zukunft oder durch die Rückeroberung des zweiten Sitzes der FDP nach den Wahlen 2015 möglich geworden wäre. Beides erschien unwahrscheinlich.

Mit anderen Worten: Die Bundesratswahlstrategie der SVP scheiterte, weil man sich erstens mit der Kritik an der Personenfreizügigkeit im frühen Wahlkampf überschätzte und nicht von einer Gegenreaktion aus Wirtschaft und Politik ausging; zweitens weil man die Konkurrenz unterschätzte, die Widmer-Schlumpf teils aus personellen Gründen, vor allem aber auch aus inhaltlichen Grünen wiederwählte, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu sichern; und drittens, weil man die CVP falsch einschätzte, die im Wahljahr aber immer deutlicher von der Fraktions- wie auch der Parteispitze Richtung Einheit geführt wurde.

Das alles hat auch mit dem wiederholt inszenierten Fremdbild der “anderen Parteien” in der SVP selber zu tun. Es geht davon aus, dass praktisch die ganz FDP und eine kleine, aber entscheidend Minderheit der CVP zur SVP hält, wie das 2003 bei der Wahl von Christoph Blocher in den Bundesrat der Fall war. Dem ist teilweise seit den letzten Wahlen nicht mehr so, denn die CVP kümmert sich um den Neuaufbau der politischen Mitte, und die FDP weiss ihre Position personal- und sachpolitisch mit Bündnissen in alle Richtung geschickt zu halten, auch wenn elektorale Erfolge ausbleiben. Die SVP wiederum hat sich immer mehr von den früheren Partnern isoliert, indem sie ihre Attraktivität bei Proporzwahlen maximiert hat, dabei aber übersah, dass das bei Majorzwahlen zum Problem wurde – egal, ob die Wahlberechtigten oder die National- und StänderatInnen die Entscheidungen fällen.

Weiterhin zwischen Regierungsverantwortung und Oppositionspolitik
Einmal gestartet, war der Plan, den zweiten Bundesratssitz zum Maximaltarif zurückzuerobern, nicht mehr zu stoppen; man konnte nur noch die Ziele bis zu ihrer Unkenntlichkeit verwässern. Oder aber man verfolgte angesichts des voraussehbaren Scheiterns mindestens am Schluss auch eine ganz andere second best Variante: den Gang in die Opposition.

Ob es dazu kommt oder nicht, bleibt offen. Es zeichnen sich Widerstände in der Fraktion und den Kantonalparteien mit vom Volk gewählten Regierungsräten ab. Es bleibt jedoch die Herausforderung, ohne Positionsänderung rechts wieder wachsen zu müssen. Halb Regierung, halb Oppositionspartei dürfte die Losung. «Wir müssen nicht mehr mithelfen, jeden Dreck zuzudecken», kennzeichnet Strategiechef Christoph Blocher diese Position im Nachhinein – dick übertüncht mit lauten Klagen, alles getan zu haben, um zum Erfolg zu kommen, aus Gründen der willentlichen Demütigung aber ausgegrenzt worden zu sein.

Das wichtigste Signal hierzu sendete am Wahltag Ueli Maurer aus. Ihm kommt in dieser Frage die Schlüsselrolle in der Vermittlung von Regierung und Opposition zukommt. Seine Wiederwahl verfolgte er mit den Wahlmitgliedern; er hielt sie tief, dafür die Wut hoch, weil Kollegin Widmer-Schlumof nicht abgewählt worden sei – vor laufender Fernsehkamera. Nun wird er alleine SVP-Bundesrat sein, der zweitbesten und auch zweitschlechtesten Variante. Denn eines wollte die SP von Anfang an nicht: Mit zwei Bundesräten eingebunden zu sein und mit der CVP oder BDP Mehrheiten für die eigene Politik im Bundesrat suchen zu müssen. Der Bruch von 2007/8 wirkt offensichtlich nach – bis in den heutigen Bundesrat.

Claude Longchamp