Kurzanalyse der GPS-Niederlage – für die GPS

Meine Analyse, wieso die Grünen bei den Wahlen zu wenig mobilisieren konnten, erstellt für Greenfo.

Am stärksten verloren haben bei den Wahlen 2011 die rechten Parteien SVP und FDP. Was bedeutet das für die Schweiz?

Zunächst ein Novum. Denn die SVP verlor in der Nachkriegszeit noch nie so viel von einer Nationalratswahl zur anderen – und das bei gleichzeitigen Rückgängen von FDP und CVP. SVP und FDP haben gesamtschweizerisch noch 42 Prozent WählerInnenanteil. Sie sind damit klarer denn je von einer Mehrheit unter den Wählenden entfernt. Das muss bei den Bundesratswahlen Konsequenzen haben. Eine Mehrheit der Bundesratssitze für die beiden Parteien, wie sie zwischen 2003 und 2007 bestand, darf es nicht mehr geben.

Weniger Polarisierung – mehr Mitte: Ist das wirklich ein politischer Trend in Richtung Lösungen oder ist es nur, weil es zwei junge und neue Parteien gibt?

Es ist ein Trend im Parteiensystem. Es haben sich zwei neue Parteien etablieren können. Zusammen machen sie 10 Prozent aus. Beide können auf Neuwählende und Unzufriedene bei den grösseren Parteien zählen. Vieles hängt jetzt davon ab, ob sich die neue Mitte sach- und machtpolitisch im Parlament formiert oder nicht. Wenn ja, ist meine Annahme, dass die Pole bei der Lancierung von Lösungen unwichtiger werden, sich häufiger die Frage stellen müssen, ob sie mit dem Zentrum kooperieren wollen oder nicht. Insgesamt wäre mit einer Deblockierung in verschiedenen Bereichen zu rechnen, wie das anhand der Kernenergiefrage schon im Wahljahr sichtbar wurde.

Die Grünen haben Stimmen und Sitze verloren. Wieso ist es ihnen nicht gelungen, mehr Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren?

Die «Grünen» haben weder Stimmen noch Sitze verloren. Verloren hat die GPS. Ihr Problem ist, dass sie mit dem Auftreten der GLP «die Grünen» nicht mehr alleine repräsentieren kann, weder mit ihren ökologischen Projekten noch mit ihren sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Vorstellungen. Mit den Wahlen in Basel-Landschaft und Zürich wurde klar: Die Gewinnchancen Grüner PolitikerInnen stiegen nach dem Reaktorunfall in Fukushima, die der GPS jedoch nicht. 2007 mobilisierten die Grünen ausgehend von der globalen Kampagne von Al Gore auf ihrem Kernthema, der Forderung nach einer neuen Klimapolitik, und in der Schlussphase mit einer klaren Abgrenzung von Christoph Blocher. In beidem stachen sie die SP aus, und sie gewannen am meisten aufgrund Wählerwanderungen im linken Lager. Das war 2011 nicht mehr der Fall, ohne dass die GPS einen Ersatz dafür fand. Vor allem in der Hauptphase des Wahlkampfes, als der starke Franken, die Wirtschaftslage und die Sorge um die Arbeitsplätze an Bedeutung gewannen, konnte die GPS nicht mehr punkten. Die GPS muss wohl auch ihren Wahlkampf kritisch analysieren (lassen).

Wieso sind bei den Grünen fast nur Frauen abgewählt worden? Ist das Zufall?

Jede Serie geht einmal zu Ende. Die langfristigen Indikatoren zur Frauenrepräsentation im Parlament auf lokaler Ebene sprechen schon seit einigen Jahren von der generellen Trendumkehr. Hauptgrund ist, dass die «Nachhol»-Argumentation alleine nicht mehr zieht und das generelle Politklima konservativer geworden ist. Das alles müssen Parteien wie die GPS, die sich der Frauenförderung verschrieben haben, ernst nehmen. Darüber hinaus gibt es aber keine Hinweise, dass es eine Zwangsläufigkeit bei einer bestimmten Wahl in einem bestimmten Wahlkreis für eine bestimmte Partei gibt. 2007 trat die GPS bewusst mit Frauen im Wahlkampf auf, allen voran mit Ruth Genner. 2011 gab es das von aussen gesehen nicht mehr. Unglücklich war sicher auch der Auftritt der GPS bei den Bundesratswahlen 2010 – mit einer erfolglosen Frauenkandidatur.

In Zürich und Bern haben die Grünen 2 bzw. 3.4 Prozent Wähleranteil verloren, in Basel-Stadt und Neuenburg 1.3 bzw. 2.3 Prozent zugelegt. Wie erklären Sie sich die unterschiedlichen Ergebnisse in den Kantonen?

Das Parteiensystem ist im Umbruch: Die GLP hat etwas rot-grün Wählende angezogen. Zudem mobilisiert die Abgrenzung von der SVP nicht mehr im gleichen Masse. Und schliesslich müssen Parteien wie die GPS damit werben, was sie an konkreten Veränderungen erreicht haben. Wie stark die Effekte in den Kantonen sind, hängt vom Auftreten der neuen Parteien, in diesem Fall der GLP, ab, von ihrem Personal, von ihren Projekten, aber auch von den Leistungen in Regierung und Parlament auf der städtischen und kantonalen Ebene. In Neuenburg ist die Antwort einfach: Es gibt keine ernstzunehmende GLP. In Basel-Stadt trifft der Trend mehr die SP als die GPS. In Zürich und Bern ist demgegenüber, ausgehend von den grossen Städten, der Umbruch im vollen Gang.

Bedeutet die Abnahme der Polarisierung eine Abnahme der Polarisierung links-rechts oder eine Abnahme der Polarisierung liberal-konservativ?

Parteipolitisch sind die Gegensätze zwischen Links und Rechts grösser. Meines Erachtens sind sie, erstmals seit 1999, nicht mehr gewachsen. Neu aufgemischt wurde die Mitte, weil die FDP diese Position nicht mehr pflegt und die CVP eher macht- als sachpolitisch das Zentrum zu füllen versucht. Die beiden neuen Parteien haben Bewegung in die Polarisierung zwischen Rechts und Links gebracht, weil sie mit querliegenden Themen- und Personenangeboten das Parteiensystem aufgemischt haben. Das ist ihnen bei diesen Wahlen am ehesten mit der Kernenergiefrage geglückt. Die Migrationsfragen, die für den nationalkonservativen Pol von Belang sind, haben dagegen erstmals keine zusätzlichen WählerInnenstimmen gebracht.

Interview: Corinne Dobler