Der Tanz rund um die Konkordanz

Heute sass ich erstmals auf dem heissen Stuhl der “Rundschau” – um zu analysieren, was bei der Bundesratswahl geschieht. Was mir in den kurzen fünf Minuten an Vermittlungsleistung gelang, kann man sich hier ansehen, und was mir darüber hinaus noch wichtig gewesen wäre, kann ich hier als Blogger ausbreiten.

Rundschau vom 07.12.2011

Nehmen wir mal an: Alles verläuft nach dem Gewohnheitsrecht. Gewählt werden die sieben BundesrätInnen nächsten Mittwoch einzeln und zwar in der Reihe des Amtsalters. Dann ist Doris Leuthard als Erste wieder Bundesrätin.

Diese Woche klar verbessert haben sich die Aussichten von Eveline Widmer-Schlumpf. Denn sie hat nicht nur die Zustimmung ihrer Fraktion und die der GLP bzw. GPS. Auch die SP hat sich einstimmig für sie ausgesprochen, und bei der CVP ist es eine klar Mehrheit, die sie wiederwählen will. Zusammen macht das fast 140 mögliche Stimmen; bei 124 nötigen erträgt es da durchaus einige Abweichler von den Fraktionsvorgaben, und die BDP-Politikerin bleibt trotz mangelnder WählerInnen-Stärke ihrer Partei im Bundesrat.
Eine vertitable Koalition wäre es nicht, die sie erneut in die Regierung hieven würde, aber eine Themenallianz, welche die Mehrheit für den Ausstieg aus der Atomenergie im Bundesrat sichern möchte. Immerhin, das war eines der Hauptthemen im Wahljahr, und es hat bei der Parlamentswahl jene Kräfte im Zentrum gestärkt, die ohne Rücksichten auf bisherige Entscheidungen neue Mehrheiten beschaffen können und wollen.

Unwahrscheinlich geworden wäre damit die Rückkehr zur Formel von 2003 mit je zwei Bundesräten für SVP und FDP. Die SVP, die kaum mehr etwas gewinnen könnte, würde mit Sicherheit protestieren, allenfalls auch die Unterbrechung der Wahl fordern. Würde sie damit nicht durchdringen, wäre am kommenden Mittwoch die Wiederwahl von Johannes Schneider-Ammann der nächste Kristallisationspunkt.
Votierten da FDP, CVP, BDP und SVP wie angekündigt ganz oder grossmehrheitlich für ihn, könnte der Volkswirtschaftsminister schon im ersten Wahlgang bestätigt werden. Enthielte sich die SVP in der ersten Runde, wäre das die Aufforderung zum Tanz mit Mitte/Links, indem SP und GLP, die eine Doppelvertretung der SVP gegen die FDP nicht ausschliessen für Bruno Zuppiger votieren würden, was mit den SVP Stimmen aus dem Gewerbeverbandspräsidenten einen Bundesrat machen würde.
Mit der heutigen Attacke der Weltwoche gegen Zuppigers Integrität ist das nicht wahrscheinlicher geworden. Der Schaden in der Oeffentlichkeit ist da, selbst wenn es sich um nicht mehr als eine instrumentelle Aktualisierung eines Sachverhalts handelt, der in der SVP-Spitze bekannt war. Das macht man entweder aus journalistischem Gespür für Sensationen heraus – oder aus gezielter Absicht, um den Kandidaten zu demontieren. Am Dilemma der SVP, im jetzigen Parlament wohl nur über den Weg gegen die FDP zum zweiten Bundesrat zu kommen, ändert das nichts. Und davon ist man heute auch ohne mediale Kampagne weit entfernt. Denn man misstraut sich aus den SVP- und SP-Reihen wechselseitig, anstatt gegenseitig anzuhören.

Wahrscheinlicher wird da immer mehr, dass sich SP und FDP hinter den Kulissen arrangieren. Denn tauschen sie sich ihre Stimmen in der Vereinigten Bundesversammlung aus, sind beide Parteien auch im kommenden Bundesrat mit je zwei PolitikerInnen vertreten, wenn diese wahlweise bei CVP, BDP, GLP und GPS je 25 Stimmen als Bisherige, als Romands oder als Ständerat für sich gewinnen. Mögilch ist das.
Im Grenzfall könnte zuerst die FDP mit Schneider-Ammann, dann die SVP mit ihrem zweiten Kandidaten Jean François Rime bedient werden. Doch würde so die CVP, der wichtigsten Partei in dieser Frage, ihrer Rolle als Mehrheitsbeschafferin in der Energiepolitik verlustig werden.

Damit erscheint aus heutiger Sicht der Status Quo als probabelster Ausgang der kommenden Bundesratswahl. Grosser Vorteil: Kein Mitglied der jetzigen Bundesregierung würde abgewählt. Neue Wunden aus der Wahlschlacht bei PolitikerInnen und ihren Parteien könnten so vermieden werden. Grosser Nachteil: Konkordant wäre die Wahl nicht wirklich, denn die SVP wäre nicht adäquat im Bundesrat vertreten. Ihre volle Rückkehr aus der selbst gewählten Opposition würden wohl bis zur nächsten Vakanz aus den FDP-Reihen aufgeschoben werden. Oder die nächsten Parlamentswahlen ändern die Zusammensetzung von National- und Ständerat nach rechts.
Die Begründung für die Regierung nach der bisherigen Zusammensetzung würde lauten: Stabilisierung des Gremiums, das amtsjung ist, um in der herausforderungsreichen Zeit, die ansteht, zu bestehen. Personen, die zusammenarbeiten wollen, wären dann definitiv wichtiger als die Konkordanz-Arithmetik. Für die SVP wäre die Begründung, Opfer einer Intrige geworden zu sein, die zum definitiven Bruch mit der Zauberformel führte. Das würde es ihr erlauben, ihren Tanz um die Konkordanz fortzusetzen, der im angedrohten Erfolg in Proporzwahlen besteht, aus dem sie ihre bisherige Stärke bezogen hat.
Soweit die heutigen Aussichten – ausser die Wahlen vom kommenden Mittwoch liefen nicht nach dem Gewohnheitsrecht ab!

Claude Longchamp