Ständeratswahlen im Kanton Bern: Was bisher geschah, und was noch geschehen könnte

Der zweite Wahlgang zu den Ständeratswahlen rückt näher. Damit steigt auch das Interesse, was man aus dem ersten lernen könnte. Eine Auslegeordnung

Die Bund-Auszählung mit einer Gemeinde
Der heutige „Bund“ bringt eine auffällige Grafik zum ersten Wahlgang der Ständeratswahlen im Kanton Bern. Sie zeigt wie die Wählenden der 5 hauptsächlichen Kandidaten die zweite Linie besetzt haben.

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Jene von Adrian Amstutz wollten am häufigsten, die Chancen ihres Favoriten optimieren. Sie liessen mehr als die Wählenden der anderen Bewerber die zweite Linie leer. Gut funktioniert hat das linke Bündnis. Klare Mehrheiten der Wählenden von Hans Stöckli und Alec von Grafenried haben als zweites den anderen Kandidaten der rotgrünen Partners aufgeschrieben. Von einem Bündnis auf bürgerlicher Seite kann man nicht wirklich sprecehn. Die Grafik und der Artikel suggerieren: Die SVP leihte Stimmen, bekam sie aber nicht zurück.

Wieso weiss der “Bund” das? – Die Methode hinter dem Artikel ist originell. Man hat effektive Wahlzettel ausgewertet – etwas, das bisher wenig üblich war, aber im Kommen ist. Die getroffene Auswahl ist allerdings höchstens exemplarisch. Ausgezählt wurde in einer Gemeinde eine Stichprobe von 1800 Zetteln. Welche es war, erfährt man nicht. Obwohl alle Halbeingeweihten auf Bolligen tippen.


Die gfs-Analyse mit allen Gemeinden

Eine etwas andere Auswertung unseres Instituts mit einer anderen Methode, aber in allen Gemeinden vorgenommen, kommt zu differenzierteren Schlüssen:

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Erstens, die Positionierung Kandidaten aufgrund der Stimmenprofile legt die gleiche Rechts/Links-abfolge nahe: Amstutz, Luginbühl, Wasserfallen, Stöckli und von Graffenried. Die KandidatInnen unterscheiden sich aber auch hinsichtlich der Gemeinden, die ausgesprochen liberal sind. Da führt Wasserfallen knapp vor Luginbühl und deutlich vor Graffenried, während Amstutz und Stöckli hinten sind. Amstutz ist da zu rechts-konservativ und Stöckli zu links-etatistisch.

Zweitens, bestimmt man die Distanz der KandidatInnen untereinander auf beiden Dimensionen bestätigt sich der Unterschied zwischen den Lagern. Das linke hielt zusammen, das rechts nicht. Luginbühl hat sich eine eigenständige Position schaffen können, zwischen SVP und FDP. Eher differiert zu Amstutz und Wasserfallen in gleichem Masse.

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Unsere Methode erlaubt darüber hinaus, Aussagen über die Stimmenverhältnisse nach der politischen Struktur der Gemeinden zu machen:

. Amstutz, im ersten Wahlgang vorne, erreichte das absolute Mehr in den SVP-Hochburgen, in den bürgerlich geprägten Gemeinden und der FDP/BDP-Kommunen. Ein massives Problem hatte er aber in den linken Hochburgen, eingeschränkt auch in den Mitte/Links geprägten Zählkreisen. Insgesamt hat regional, nicht parteipolitisch punkten können.

. Luginbühl, am Ende Zweiter, kennt abgeschwächt das gleiche Profil. Das heisst, in den SVP-Hochburgen wurde er weniger gut gewählt als Amstutz, dafür machte er in den linkeren Gemeinden bessere Resultate. Er profitierte von den Wählenden aller KandidatInnen, tendenziell von denen, die Amstutz unterstützten am meisten.

. Stöckli, Dritter im ersten Ranking, hat ein komplementäres Profil zu seinen beiden Konkurrenten im zweiten Wahlgang. Im Berner Jura und in den linken Hochburgen lag er über dem absoluten Mehr, in den Mitte/Links-Gemeinden verpasste er dieses knapp. Dafür gibt es einen Rückgang seines Anteils in den rechteren Gemeinden. Ordentlich Stimmen machte er noch in moderat bürgerlich eingestellten Gemeinden.


Unsere Schlussfolgerungen für den zweiten Wahlgang

Unabhängig davon fragt sich: Was heisst das für den zweiten Wahlgang? – Zunächst sei erinnert, dass die Mobilisierung durch die drei verbleibenden Kandidaten entscheidend sein wird. Die Bund-Analyse abstrahiert davon weitgehend.

Sodann, Luginbühl fällt im zweiten Wahlgang wegen seiner breiten Abstützung entweder an der Sptize es Feldes, oder am Ende, wenn die Mobilisierung misslingt. Je SVP-orientierter eine Gemeinde ist, desto eher dürfte Stimmverluste geben, weil seine Partei die Avance für ein gemeinsame Sache abgelehnt hat. In den bürgerlichen geprägten Gemeinden dürfte er dafür vor allem bisherige FDP-Stimmen machen. Und er hat, nicht zuletzt wegen der Energiepolitik, eine sachpolitische Uebereinstimmung mit links, die sich im ersten Wahlgang noch nicht zeigte.

Schliesslich, Amstutz und Stöckli, die parteipolitisch profiliertersten KandidatInnen, haben zwei Optionen: Hochburgen mobilisieren oder in die Mitte Stimmen suchen gehen. Amstutz, der SVP-Hardlinie, kann Ersteres besser, wie er im Frühling zeigte. Ob es in einer tripolaren Situation für die Wahl reicht, bleibt indessen offen. Stöckli wiederum muss, wenn er gewählt werden will, ins parteipolitische Zentrum der Wählenden vorstossen. Er müsste in den Mitte/Links-Gemeinde stark aufholen und in den gemässigt bürgerlichen Gemeinden mit Luginbühl-Präferenz die zweiten Linie für sich gewinnen.

Wem was gelingt, weiss man in 10 Tagen!

Claude Longchamp