Die Volatilität von Schweizer Wahlen

Schweizer Wahlen galten lange als langweilig. Die beste Prognose war, es bleibt wie bisher. Dann wurde alles anders. Das hat die Wahlforschung befruchtet, wenn auch nicht einfacher gemacht. Und man fragt sich, ob das 2011 anhält oder nicht.

Das Stichwort der Parteien- und Wahlforschung zur Messung von Instabilität heisst “volatility”. Geprägt wurde es 1979 vom dänischen Politikwissenschafter Morgen Pedersen. Auf Deutsch redet man gelegentlich von Unbeständigkeit.

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Gemeint ist nicht der Anteil konstanter oder variabler Entscheidungen von Wahl zu Wahl, die ein Bürger, eine Bürgerin fällt. Da geht man davon aus, dass die durch die Parteibindung, erworben während der Sozialisation, beeinflusst wird.
Volatilität meint vielmehr die Konstanz oder Variablität der Parteien insgesamt, gemessen an den WählerInnen- oder Sitzanteilen, die aus Parlamentswahlen hervorgehen.

In der Schweiz hat sich vor allem der Lausanner Politologe Andreas Ladner mit der Unbeständigkeit im Parteiensystem auf Bundes- und Kantonsebene befasst. Auf seinen Berechnungen aufbauend, führt unser Institut regelmässig den Volatilitätsindex. Anhand von Sitzzahlen erstellt, kann er sowohl für National- wie auch Ständeratswahlen berechnet werden.

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Der Index liesst sich wie folgt: 0 beträgt der Wert, wenn sich an der Sitzverteilung gar nichts ändert; 100 wäre er, wenn nicht mehr wäre wie zuvor.

Das Ergebnis zum Schweizer Volatilitätsindex ist eindeutig. Bis 1991 waren die Wahlen in der Schweiz tatsächlich durch Beständigkeit gekennzeichnet. Seit 1991 sind sie es eindeutig nicht mehr. Das gilt, ganz generell für National- wie auch Ständeratswahlen. Mit einer Ausnahme war die Volatilität der Wahlergebnisse zum Nationalrat aber höher als die, welche sich auf den Resultaten zu den Ständeratswahlen ableiten lassen.

Im Nationalrat ist die Unbeständigkeit seit 1991 hoch, ihren bisherigen Höhepunkt (in der neueren Wahlgeschichte) erreichte sie 2007. Im Ständerat waren die Wahlen 1991 der eigentliche Bruch mit der Stabilität. Es war das letzte Mal, dass die FDP so richtig zulegen konnte, während CVP und SP an Bedeutung verloren. 2007 erhöhte sich die Stabilität wieder. Abgerutsch war damals nur noch die FDP.

Wie das 2011 aussieht, weiss man teilweise am Sonntag abend. Um 1900 liegt die erste gesamtschweizerische Hochrechnung zur Sitzverteilung und den Wählendenanteilen für den Nationalrat vor. Beim Ständerat weiss man an sich gleich viel, doch werden die ersten Wahlgänge nicht überall zu einer klaren Sitzverteilung führen. Deshalb wird man erst Ende November 2011 die Volatilitäts-Kurve für den Ständerat berechnen können.

Mindestens beim Nationalrat wird man zwei Antworten haben: Erstens, wie stark die Parteien neu in der grossen Kammer vertreten sind, und, zweitens, wie (un)beständig die Wahlentscheidung insgesamt einzustufen ist.

Claude Longchamp