Ich war heute in Bern einkaufen. In der Hauptstadt begegnete man zahlreichen KandidatInnen bei den anstehenden Parlamentswahlen. Ständeratsbewerber Hans Stöckli, vormaliger SP-Stadtpräsident in Biel/Bienne, führte Strassenwahlkampf. Und wollte wissen, ob man der Wahlbörse von SRF trauen kann. Hier meine Antwort.
Zunächst: Wahlbörsen gehören seit 1988 zu Wahlkämpfen. Erfunden wurden sie an der University of Iowa in den USA. Sie haben sich als Informationstool zum Stand der Meinungsbildung zu Parteien und Kandidaten nebst Wahlumfragen etabliert. Theoretisch basieren sie auf der liberalen Annahme, dass Märkte Informationen effizient und genau verarbeiten, denn Marktteilnehmender wollen keines Falls gewinnen, idealerweise gewinnen. Deshalb informieren sie sich umfassender als andere, bilden sich nicht nur eine eigene Meinung, sondern reflektieren auch, was die öffentliche Meinung ist.
Sodann: Wahlbörsen sind nicht geeignet, die klassischen Fragen der Umfrageforschung zu beantworten. Diese lassen sich mit der www-Formel zusammenfassen: Wer (wählt) wen warum? Wahlbörsen eigenen sich aber, um die Frage zu beantworten; Wer gewinnt, wer verliert. Und das nicht nur für sich selber, sondern als Wette mit anderen.
Die SRF-Wahlbörse funktioniert nach diesen Prinzipien. Die Gewinnaussichten sind indessen marginal. Und der Geldeinsatz ist symbolisch. Man kann es auch so sagen: Die Eintrittsschwelle ist unüblich tief. Das eröffnete SpielerInnen, die Freude am Gamblen haben Tür und Tor. Auch politisch Interessierten, die als Gruppe versuchen, die Börsen zugunsten ihrer FavoritInnen zu manipulieren.
Angesichts der Teilnehmendenzahlen bei den Börsen zu den Ständeratswahlen wiegt das umso schwerer, als die Wettgemeindschaften klein (geblieben) sind. Im Schnitt beteiligen sich rund 100 Personen an den Wahlbörsen. Das ist zwar nicht einfach wenig, Missbrauchsmöglichkeiten können aber nicht ausgeschlossen.
Die Grundaussage, die aus den Wahlbörsen zu den Ständeratswahlen entsteht, ist meines Erachtens nicht einfach falsch. Sie ist eine Diskussionsgrundlage. Wie genau so ist, wird sich erst erweisen, wenn der erstmalige Test abgeschlossen ist und die Kurswerte der KandidatInnen anhand der effektiven Ergebnisse evaluiert werden können. Nimmt man die vorläufigen Resultate zwei Wochen vor dem 1. Wahlgang zum Nennwert, kann man Folgendes festhalten:
Erstens, in vielen Kantonen kommt es zu zweiten Wahlgängen. Diese erscheinen in den grossen und mittleren Kantonen als Normalfall.
Zeitens, bisherige können nicht einfach damit rechnen, auf Anhieb wieder gewählt zu werden. Es sind sogar einzelne Abwahlen denkbar, wie das Beispiel Uri nahelegt.
Drittens, in den meisten Kantonen mit Konkurrenz hat es 3 bis 4 ernsthafte Bewerbungen, die es auf 30-40 Prozent der Stimmen bringen könnten.
Viertens, die Allianzbildung für den zweiten Wahlgang wird entscheidend sei, wie die kleine Kammer in der nächsten Legislatur aussieht.
Bedenken bestehen also. Ein besseres Informationstool als das gegenwärtige gibt es zu den Ständeratswahlen indessen nicht.
Mit den Schlussfolgerungen war Hans Stöckli jedenfalls sichtbar zufrieden.
Claude Longchamp
Ich denke die Missbrauchsmöglichkeiten sind auch oder gerade bei kleinen Teilnehmerzahlen recht klein, da das zur Verfügung stehende Kapital doch recht schnell verbraucht ist. Wenn man die Börsenwerte systematisch verfälschen möchte, könnte man wohl aber einfach unter mehreren Namen aktiv sein und damit mehr Kapital zur Verfügung haben, damit steigen aber auch die Teilnehmerzahlen.
Danke für den treffenden Hinweis!
Immerhin, wenn man sich die Entwicklungen bei den Ständeratswahlbörsen ansieht, gibt es zum Teil schon erhebliche Sprünge, zum Beispiel bei Giezendanner im Aargau, oder bei von Graffenried in Bern.
Eine — beschränkte — Möglichkeit der Prüfung gibt es im Kanton Aargau wo es auch Umfragen zu den Ständeratswahlen gibt. Nimmt man die letzte von der AZ veröffentichte Umfrage ist die Reihenfolge vorne gleich. Die Werte sind aber ganz anders.
Bruderer kommt auf 44%, Egeszegi auf 31, Giezendaner auf 24 und Müller auf 12%. Bialek ist in der Umfrage viel weiter hinten. Dafür kommt Füglistaler — der wilde Kandidat der SVP — in der Umfrage auf den 5. Platz.
Ich denke in der Umfrage haben die Leute gesagt wen sie überzeugt wählen wollen. Die Wahlbörse hingegen schätzt die Wahlchancen – unter Einbezug der taktischen Momente die beim Ausfüllen der zweiten Linie wirksam werden können.
Wenn ich wüsste wie würde ich den Link auch angeben.
Ich füge den Link schon mal an:
http://www.demoscope.ch/upload/docs/PDF2008/AZ_Alle.pdf