Wahljahr im Zeichen der Schuhe

Diese Woche war ich jeden Abend unterwegs. In Wahlsendungen, auf Podien und als Vortragsredner. Um über Wahlen, Wahlkämpfe und Wahlanaysen zu sprechen. Hier meine Einleitung zum Hauptreferat.

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“Meistens seien meine Analysen relevant, schrieb jüngst die BernerZeitung. Seltene Abweichungen davon bestätigen die Regel, füge ich bei. Dennoch bin ich vorsichtiger geworden als ich auch schon war: Um mich zu vergewissern, ob ich nur mit dem Kopf arbeite oder auch mein ganzer Körper mitgeht, achte ich auf meine stillen, bisweilen auch unbewussten Veränderungen.

Im Wahljahr 2011 ziehe ich nach 9 Monaten folgende Bilanz: Noch nie habe ich so viele Schuhe gekauft!

An den Schwestern Penelope und Monica Cruz kann es ja nicht liegen. Deren Kampagne für Vögele Schuhe wurde wegen offensichtlichem Misserfolg vorzeitig eingestellt. Wahrscheinlich gehörte ich auch nicht zur anvisierten Zielgruppe. Denn dafür bin ich dann doch zu politisch.

Die ersten Schuhe, die im Wahljahr meine Aufmerksamkeit erheischten, kamen am 1. Januar 2011 mit der Neujahrskarte von Micheline Calmy-Rey. Sie zierten, als offensichtlicher eye-catcher, die Neujahrsgrüsse der Bundespräsidentin. Mancher Genossin dürfte die Atem stecken geblieben sein, denn das Bild hätte auch der Lauterkeitskommission der Werbung zustellt werden können – wegen sexistischer Reduktion einer Frau auf ihre Füsse und Schuhe.

Man hat in der welschen Presse spekuliert, es sei MCR selber gewesen, die in verführerischen Pumps an uns vorbei ging. Genau genommen: aus dem Bild lief. Im Nachhinein könnte man meinen, sie kündigte ihren Rücktirtt aus der Bundesregierung auf ihre Art und Weise an. Dabei verpasste sie es nicht, eine Botschaft zu hinterlassen: Die Kugeln am Boden deutete die Sozialdemokratin wie folgt: “Die Konkordanz ist zerbrechlich, tragen wir ihre Sorge!” Für viele überraschend, die zertretenen Kugel lagen links, rechts bestanden sie noch.

Auf solche Eleganz in der Kommunikation verzichtet das zweite Bild zu meiner These, wir befänden uns im Wahljahr der Schuhe. Dabei geht es nicht um feine Highheels, nein, es dreht sich alles um mächtige Stiefel. Gemeint ist das Wahlplakat, das die SVP laudauf, landab schalten lässt, um die Wähler zu mobilisieren. Da läuft auch niemand davon, nein, da wird eingewandert. Massenhaft. Man glaubt auch zu erkennen, es seien keine Frau daruntern, nur Männer, wohl direkt aus …

Lassen wir das! Fakt ist, verwendet wird eine faschistische Symbolik – von einer nicht-faschistischen Partei. Die Grenzüberschreitung hat System: Es geht um Provokation, an die Adresse der Gutmenschen, die hysterisch aufschreien sollen. Damit sich die Presse dem Ganzen annimmt, damit die Geschichte bis zu den Wahlen weiter erzählt werden kann, wibei man genau weiss: Kein Schweizer Gericht wird auf denkbare Klagen wegen Verletzung der Rassismusnorm eintreten.

Meine Damen und Herren: Beide Bilder bewegen, aber unterschiedlich. Das ein kleidet die Haut, damit wir uns fragen, wo wir stehen. Das andere geht unter die Haut, damit wir keine Fragen mehr stellen, sondern handeln. Herrn Segert, dem Werber der SVP, rufe ich zu: Bingo! Ihr Bild kam selbst in meinen Träumen vor, was beweist, dass sie eine meiner Emotionen getroffen haben, auch wenn mein Kopf das nicht zugehen will. Das beweist, dass man Veränderungen in Kampagnen gefühlmässig mindestens so klar erkennen kann wie verstandesmässig. Wer Kampagnenanalysen vor Wahlen betreibt, sollte das nicht vergessen. Und nun zu Sache selber!

Claude Longchamp