PolitologInnen in der Medienöffentlichkeit

Ich bin seit der BZ-Publikation über PolitologInnen im Wahlkampf mehrfach angegangen worden, weshalb es PolitologInnen in der Oeffentlichkeit brauche. Nicht nur von PolitologInnen, auch von PolitikerInnen, JournalistInnen und BürgerInnen. Hier mein Versuch einer allgemeinen Antwort.

Im deutschen Sprachraum hat sich keiner so gründlich mit Sprechern in der modernen Oeffentlichkeit auseinander gesetzt, wie der Soziologe Friedhelm Neidhardt. Oeffentlichkeit, bestimmte der ehemalige Präsident des Wissenschaftszentrum für Sozialforschung, müsse Transparenz herstellen, Fakten spiegeln, Meinungen prüfen, um dem Publikum Orientierungshilfen anzubieten. Da etablierte Positionen wie jene des Staates oder der organisierten Akteure in der Medienöffentlichkeit tendenziell mainstreaming seien, komme SprecherInnen in Medien die Aufgabe zu, untervertretene Standpunkte zu artikulieren: Sie repräsentieren mitunter das Volk, statt das den Behörden zu überlassen; sie sprechen für die Minderheit statt für die Mehrheit; sie sind Fachleute, wo Laienstandpunkte vorherrschen; und sie moralisieren, wo der Eigennutzen im öffentlichen Auftritt seine Begrenztheit übersieht.

Bezogen auf PolitologInnen als Sprecher in der Oeffentlichkeit schliesse ich auf drei mehr oder minder akzeptierte Medienrollen:

Sie informieren als ExpertInnen,
sie intervenieren als Intellektuelle, und
sie handeln als FürsprecherInnen.

ExpertInnen unter den PolitikwissenschafterInnen haben Routinen im Umgang mit neuen Gegebenheiten, kennen die Sache aus eigener Erfahrung und sind zu Abstraktionen fähig, welche es ihnen erlaubt, ihr überdurchschnittliches Wissen mit Erfolg auf neue Situationen anzuwenden. ExpertInnen sind auf ihrem Gebiet Spitze; sie haben sich als Instituts-, Forschungs- oder Projektleiter etabliert. Sie haben sich durch Literaturkenntnisse und eigene Publikationen nicht nur eine interne Reputation erworben; sie verfügen auch über Kommunikationskompetenzen, die ihnen externe Reputation bring. In der Milizkultur der Schweiz, sind ExpertInnen angesichts globaler Phänomene, welche die Oeffentlichkeit beschäftigen, internationaler Trends, die vor den Grenzen nicht halt machen, aber auch der Spezialisierung der Diskurs gefragter denn je. Voraussetzung dafür ist allerdings, sehr gute Sprachfertigkeiten haben, live im Fernsehen zu bestehen, de persister en direct à la radio, or to be active as wellknown blogger. ExpertInnen in der Oeffentlichkeit sind sachorientiert, können schnell denken, sind verständlich in ihrer Argumentation, und rheorisch gewandt in der Diskussion.

Intellektuelle PolitologInnen haben ihr Fenster der Gelegenheiten. Denn sie leben davon, dass es in der Medienöffentlichkeit immer wieder übervertretene Standpunkte gibt, zu denen sie Gegensteuer geben. Schon deshalb sind sie parteiisch, verfolgen sie ausgewählte Themen, haben sie ein Projekt. Intellektuelle Politologen misstrauen den Mächtigen, haben eine republikanische Gesinnung, sind die Sachwalter der Moral, wenn sie vor die Hunde zu gehen droht. Intellektuelle emören sich, um Widerstand zu organisieren. In der Oeffentlichkeit intellektuell zu intervenieren, darf indessen nicht zur Routine werden; im Zweifelsfalle gilt: Hättest Du geschwiegen, wärst Du eine oder ein Intellektuelle(r) geblieben! Intellektuellen unter den PolitologInnen geht es ähnlich wie denen unter den Schriftstellern: nicht jede(r), der sich dazu zählt, taugt als dazu. Intellektuelle Bücher dürfen uns nicht einfach unterhalten, sie müssen uns zu Veränderungen inspirieren.

Fürsprecher unter den PolitwissenschafterInnen haben Mandate, vertreten aber nicht einfach ihren Mandanten, vielmehr ihre eigene Sache, die zu der ihrer Mandaten werden kann. Fürsprechen müssen Transparenz walten lassen, wen sie vertreten,. ohne dass sie deshalb zu schlechten Sprechern werden. Da sind die AnwältInnen den PolitologInnen noch voraus. Fürsprecher arbeiten meist als Selbständige für den Staat, für die Verbände, für die Parteien, für Bewegungen oder Denkfabriken, um ihre Mandaten auf Konflikte vorzubereiten oder sie in einer öffentlichen Debatte zu stärken. Letztlich sind sie BeraterInnen. Man erwartet, dass sie klare Standpunkte einnehmen, dafür Positionen beziehen, Interessen vertreten. Doch müssen sie akzeptieren, dass auch das Gegeninteresse mit Fürsprechern auffährt. Das fordert von ihnen eine professionelle Selbstbeschränkungen, von ihren Mandaten eine gewisse Selbstbegrenzungen, und von den Medien minimale Fairness.

Ich weiss, AbsolventInnen eines Politologiestudium können auch ganz anderes machen. Sie können ihre Ausbildung als GeneralistInnen-Training verstehen und danach irgend einen Beruf ergreifen. Oder sie werden GeneralsekretärInnen von Parteien, LeiterInnen von Public Affairs Abteilungen in Verbänden, oder in Denkfabriken für Bewegungen arbeiten. Wenn sie als das in der Oeffentlichkeit auftreten, sind sie vor allem RepräsentantInnen ihrer Organisationen. Das gilt weitgehend auch für PolitologInnen, die in die Medien gehen, zu PublizistInnen werden, sich als Meinungsführer betätigen, oder in Regierungen gewählt werden. Ihr Status als ausgebildete PolitikwissenschafterInnen in Medien- und Politikberufen qualifizert sie nicht als PolitologInnen in der Oeffentlichkeit – ausser auch sie nehmen eine der drei Rollen ein, die ich zu den spezifischen und akzeptierten gezählt habe.

Claude Longchamp