Wenn man auf der Strasse angesprochen wird …

200000 Menschen schauten sich dieses Jahr im Schnitt die bisher vier Wahlbarometer-Sendung an. Ein Kommentar zu den persönlichen Reaktionen.

Wahlbarometer vom 12.08.2011

Ich merke es gut: Auf der Strasse werde ich zunehmend angesprochen. Das ist nach einem Abstimmungssonntag normal, verschwindet nach einigen Tagen aber wieder. Jetzt ist die Entwicklung anders: Seit ich aus den Sommerferien zurück bin, ist die Aufmerksamkeit für Wahlen, Wahlsendungen und Wahlanalysen eindeutig gestiegen.

Was die Reaktionen auf meine Person betrifft, hat es zweifelsfrei mit der Medienpräsenz, vor allem im Fernsehen, zu tun. “Tagesschau” und “10vor10” berichten über das Wahlbarometer kurz, die Spezialsendung mit dem gleichen Titel ausführlich.

Im Schnitt dauern die Wahlbarometer-Sendungen 12 Minuten. Eingeführt wurde die Sendung 2007, nachdem der Publikumsrat bei den Wahlen 2003 moniert hatte, man mache zu wenig Vertieftes aus dem Wahlbarometer. Die Länge der heutigen Sendungen ist gegenüber 2007 nochmals ausgebaut worden. Damit steigt auch die Möglichkeit, mehr Inhalte zu transportieren. Anders noch als 2007 kommen die Parteien in der Wahlbarometer-Sendung nicht zu Wort; die Reaktionen fielen damals zu stereotyp aus.

Konzipiert wird die neue Sendung, wenn unsere Bericht zur Befragung intern vorliegt. Die Auswahl der Themen, die Bestimmung der Grafiken und das Verfassen der Texte besorgt die SF-Redaktion. Ich bekomme den Text kurzfristig zu sehen, damit ich über den Ablauf informiert bin, aber möglichst spontan reagiere.Die Sendung selber wird aufgezeichnet, meist aber in einem Stück gedreht, allenfalls zweimal gemacht, wenn es Unebenheiten drin hatte. Die können von mir sein, vom Moderator stammen, aber auch von der Sprecherin im Hintergrund. Bei dieser Sendung patzen gleich alle drei beteiligten einmal, sodass sie ein Zusammenschnitt aus drei Anläufen ist.

Verfolgt wird das Ganze am Freitag Abend von rund 200’000 ZuschauerInnen. Der Marktanteil liegt meist knapp unter der 20 Prozent Limit. Das ist für eine Sendung zu Politik in diesem Umfeld gut, heisst es in den Gängen des Leutschenbachs. Immer wieder erstaunt bin ich über das Durchschnittsalter der ZuschauerInnen. Es liegt bei 58 Jahren, älter als ich bin. Die Jüngeren sind auf diesem Weg nicht zu erreichen. Nicht zuletzt deshalb wird der Clip auch auf Internet platziert. Da wird rege Gebrauch gemacht, natürlich nie in der gleichen Dimensionen wie man mit einer Sendung am Bildschirm erreicht.

MIt dem Zweikanalsystem für die Diffusion scheint mir auch eine Differenzerung der Kommunikation verbunden zu sein. Die Kommentare in der Internetforen sind nicht selten kritisch, sehr kritisch. Aktiv sind die SRG-Kritiker, die Umfrage-Gegner, und ein paar Bürger, denen die Ergebnisse nicht passen. Ganz anders sind die Reaktionen, die ich auf der Strasse erhalte. Meist werden sie durch ein zustimmendes Lächeln begleitet. Nur im äussersten Notfall begegnen mir das Gehässigkeiten.

Typisch für diese Art von Rückmeldung ist die Frau, die mich heute ansprach. Sie hatte am letzten Freitag ferngesehen. Ich solle weniger schnell reden, meinte sie. Ich nickte ihr zu, meinte aber, ich kann nicht wirklich langsamer. Die Prognosen würden sich auch immer wieder ändern, bemerkte sie. Da schüttelte ich den Kopf. Keine der Aussagen ist für sich eine Prognose, erst die Gesamtbilanz gibt am Schluss ein. Auf jeden Fall sei es interessant, nicht nur die Parteien zu hören, auch über sie etwas zu erfahren, schloss sie das Gespräch.
Gut so, antwortete ich ihr. Immerhin stehen Wahlen an.

Claude Longchamp