Bundesrat: quo vadis?

Aus meiner Sicht steht es ausser Zweifel: Die Diskussion über die Zusammensetzung des Bundesrates wird im Wahlkampf 2011 ein gewichtige Rolle spielen. Statt Taktik und Personenfragen, sollten aber strategische Ausrichtung und Systemfragen im Vordergrund stehen. Anbei der Schluss meines Referates an der Tagung “Schweizer Politik im Umbruch“.

Einen Vorgeschmack zur Bundesratszusammensetzung im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen bilden die Spekulationen über den Rücktritt von Micheline Calmy-Rey in den Massenmedien. Etwas weniger laut, aber nicht weniger dringlich, diskutiert man über Gründe und Nicht-Gründe eines Verbleibs von Eveline Widmer-Schlumpf in der Bundesregierung. Damit nicht genug, denn das eigentliche Problem ist tieferliegend, weil es parteipolitisch mindestens 10 Ansprüche für 7 Sitze.

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PolitologInnen können sich hier in Taktikberatung üben. Das endet jedoch meist mit dem Schluss, wer unter welchen Bedingungen durch welche Entscheidungen seinen eigenen Nutzen maximieren kann. Aus übergeordneter Warte kann es das aber nicht sein. Vielmehr geht es darum, sichtbar zu machen, welche Modell hinter welchen Winkelzügen stehen. Gefragt sind Antworten, welche dieser Modelle für die Zukunft der Schweiz Vor- und Nachteile haben, und welche Zwischenschritte in der Uebergangsphase, in der wir uns befinden, Sinn machen.

Aus der bisherigen Diskussion kann man fünf Modelle mit Untervarianten festhalten. Konkret geht es über die arithmetische Konkordanz, die Konkordanz unter den Grossen, die Verteilung der Sitze nach Lagern, die kleinen Konkordanzen mitte/links resp. mitte/rechts bis hin zum Status Quo.

In der nebenstehenden Tabelle sind die Sitzverteilungen je Modell aufgeführt. Dabei stütze ich mich auf die jetzigen Parteistärken. Sollten sich diese im Oktober namhaft ändern, heisst das nicht, dass das Modell hinfällig würde, jedoch die Sitzverteilungen neu definiert werden müssten.

Der Status Quo hat den Vorteil, dass keine der bisherigen Regierungsperson angewählt werden müsse. Offensichtlicher Nachteil ist jedoch, dass damit das gegenwärtige Repräsentationsproblem mit sehr ungleich grossen Parteien bestehen bleibt.

Eine Variante hierzu besteht in der Annahme, dass namentlich der Nationalrat in drei politsiche Lager aufgeteilt politisiert. Diese, nicht Fraktionen sollten im Bundesrat vertreten sein. Demnach hätte die Mitte drei Sitze, und die beiden Polen bekämen je zwei. Links kann das, je nach Parteistärke, heissen, dass die SP ihre beiden Sitze behält oder einen an die Grünen verliert. In der Mitte würde dieses Modell entweder der FDP oder der BDP einen Sitz zugunsten der SVP kosten. Nachteiligt wirkt sich hier aus, dass die Stabilität der Zusammensetzung mit bis zu sechs Parteien am geringsten wäre. Der interne Koordinationsaufwand würde steigen, der Führungsanspruch würde geschwächt.

Am traditionellen Modell der vergangenen Zauberformel orientiert sich die Konkordanz der Grossen. Die drei stärksten Parteien erhalten je zwei Sitze, die vierte Partei einen. Konkret würde das heissen, dass die BDP ihren Bundesratsitz an die SVP abtreten müsste. Vorteil dieser Variante ist die Einfachheit; nachteilig ist, dass die Parteienstärken damit nur ungenau abgebildet werden.

Alle andere Variante sind weiter weg vom alten Ideal, aber auch von der jetzigen Realität. Auf der einen Sitze befindet sich die arithmetische Konkordanz, welche eine Art Allparteienregierung ohne politische Vorgaben ist, wobei die Sitze nach einem festen Schlüssel verteilt würden. Wahrscheinlich wäre, dass die BDP ihren Sitz an die SVP verliert, möglich ist auch ein Verlust der FDP an die GPS. Sicher ist, dass die Zahl der Parteien nicht sinkt, maximal stabil bleibt oder zunimmt, was als Nachteil zu werten ist.

Bei den kleinen Konkordanzen entwickelt sich die Bundesratszusammensetzung in die umgekehrte Richtung. Namentlich würde die Zahl der Parteien reduziert, was die politische Kohärenz erhöhen würde. Im Falle einer MItte/Links-Ausrichtung würde die SVP in die Opposition verbannt, im Falle eines Mitte/Rechts-Profils die SP. Faktisch ist das ein Uebergangsmodell zu einem Regierungs-/Oppositionssystem. Namentlich dieses ist mit den drei bürgerlichen Parteien vor 1959 in der Regierung die Rückkehr zu den Verhältnissen vor der Konkordanzphase.

Mein Vorschlag für die kommende Regierungszusammensetzung lautet: zuerst eine Systemdiskussion führen, dann die Entscheidungen aufgrund des bevorzugten Modells treffen. Ich weiss, die Parteien werden das nicht machen. Deshalb ist das eine Aufgabe der Politikwissenschaft, auch der Wahlforschung: Denn die Grundfrage dieser Disziplin heisst: Wer wählt wen mit welchen Folgen.

Claude Longchamp