Wer in der Schweiz ist heute die Wirtschaftspartei?

Keine Partei mehr hat das Monopol, die Wirtschaft zu vertreten. Denn unter den zahlreichen Akteuren, die heute für Wirtschaftsinteressen lobbyieren und kommunizieren, herrscht ein harter Wettbewerb.

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Ulrich Bremi, Unternehmer und Nationalrat, FDP-Mitglied

Lange was alles klar. Die FDP war die Wirtschaftspartei. Das Volkswirtschftsministerium war Sache der Freisinnigen. In den grossen Unternehmungen sassen Mitglieder dieser Partei in der Verwaltungsräten und Geschäftsleitungen. Zahlreiche Gewerbetreibende politisierten für die liberale Sache in den Gemeinderäten. Auch im Verbandswesen gab man sich die Hand. Die Frage, wer in der Schweiz die Wirtschaftspartei sei, beantwortete sich damit von alleine.

Heute ist das alles nicht mehr so: Eine diese Woche veröffentlichte Studie zeigt, dass sie CVP-PolitikerInnen die höchste Affinität zum Grosskapital hat. Die FDP ist noch gut vernetzt, häufig aber nur noch in der zweiten Klasse. Hinzu kommt, dass es zwischenzeitlich in vielen Parteien ausgeprochene Wirtschaftsvertreter hat: Peter Spuhler bei der SVP, Claude Janiak bei der SP und Luc Recordon bei den Grünen, um nur einige Namen zu nennen.

Auch bei den Funktionären der Spitzenverbände tut sich einiges: Manager mit Leistungsausweis, verschiedenartigsten Werthaltung, aber ohne Parteibindungen werden immer häufiger. Das gilt sogar als Vorteil, denn es ebent einem den Weg zu mehreren Parteien. Angesichts internationaler Vernetzungen, voller Agenden und persönlicher Anfeindungen bei zu exponierter Haltung scheint das der Zukunftstyp zu sein.

Aehnliches gibt es bei den Medienschaffenden: Nicht einmal mehr der Chef der wirtschaftsnahe Denkfabrik economiesuisse ist parteipolitisch eindeutig einzuordnen. Er steht zwischen FDP und SVP. Bei der NZZ ist das noch klarer, aber man bemüht sich gerade da, vom Image der Parteienbindung weg zu kommen.

Nur beim Bauern- oder Gewerbeverband ist alles anders. Parteien mit stark ländlichen und kleinstädtischem Elektorat wie die SVP oder die CVP buhlen da um Stimmen, Verbandsmandate und Präsidien, weil sie wirkungsvoll in die mediale Debatte eingebracht werden können.

Man kann die Frage aber auch zuspitzen: Gibt es überhaupt noch einen eindeutigen Wirtschaftsvertreter in der Oeffentlichkeit? Ein Nein liegt auf der Hand: zu zahlreich sind die Konflikte innerhalb der Wirtschaft, die nicht mehr, wie noch zu Ulrich Bremis Zeiten voraus denkt, Divergenzen im Hintergrund regelt, und nach Aussen mit einer Stimme spricht, sondern zahlreiche Lobbyisten und Oeffentlichkeitsarbeiter hat, die ihre Sache kommunizieren.

Das merkt man, wenn man es mit Vertretern der Binnen- und der Aussenwirtschaft zu tun hat. Man wird sich Gewahr, wie jeder Verband, bisweilen jede Firma keine Vision der Schweiz mehr, dafür die eigene Kosten/Nutzen-Rechnung vor Augen hat. In diesem Konzert mischen heute zudem VertreterInnen von Gewerkschaften bis Ich-AGs mit, und reklamieren, ein relevanter Teil der Wirtschaft zu sein. Um die Bedeutung der international tätigen Unternehmungen, die sich schwer tun, mit dem Kleinräumigen in der Schweiz, dem Milizsystem in der lokalen Politik und den Volksabstimmungen, wenn es um Weichenstellungen geht.

So fällt es immer schwerer zu erkennen, ob es noch die Wirtschaftspartei gibt. Die FDP hat ihr Monopol verloren, ohne das eine andere Partei in die wirklich führende Rolle schlüpfen konnte. Die SVP nicht, weil sie weitgehend binnenwirtschaftlich ausgerichtet und mit ihrer vorwiegend verbreiteten Emotionalisierungsstrategie politischer Fragen weit ab von rational-wirtschaftlichen Ueberlegungen ist. Die CVP nicht, weil sie regonal zu viele Teil-Schweizen repräsentiert. Und die rotgrünen Parteien nicht, weil sie zu etatistisch sind, und die ihnen nahestehenden Interessengruppen wie Gewerkschaft, Umweltverbände oder Frauenorganisationen die Wirtschaft regelmässig herausfordern.

Die Wirtschaft, so mein Fazit, spricht heute durch zahlreiche VertreterInnen mit unterschiedlichsten Interessen, politischen Richtungen und Stilen im öffentlichen Auftritt. Spitzenverbände bleiben zentral, ohne Ausschliesslichkeit herstellen zu können. Und die FDP bleibt interessant, auch wenn sich kaum mehr jemand auf sie konzentrieren würde.

Oder noch deutlicher: Um die politische Vertretung der Oekonomie ist eine regelrechter Wettbewerb der Akteure entbrannt.