Wider die grassierenden Rezepte für Parteifusionen

Viel ist dieser Tage von Parteifusionen die Rede. Ich halte wenig davon – genauso wie von unbestimmten Holdingstrukturen für Fraktionen. Wenn man die Regierungsbildung stabilisieren will, sieht das Politsystem-Schweiz nur Fraktionsgemeinschaften vor, die unter der Bundeskuppel mindestens so stark sein müssen, dass sie den Gang der Dinge nachhaltig beeinflussen können.

topelement

Der grosse Moment für Parteifusionen waren die frühen 70er Jahre des 20. Jahrhunderts. Wäre man damals bei den Volksparteien dem deutschen Vorbild gefolgt, wäre aus der KK, der Katholisch-konservativen Partei, und der BGB, der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei, ein konfessionsübergreifende konservative Partei wie seinerzeit die CDU entstanden. Doch nahm die Geschichte hierzulande einen anderen Verlauf. Entstanden sind mit der CVP und SVP konfessionell getrennte Volksparteien, die sich seit den Wahlen 1995 in den Haaren liegen, weil die eine in den Stammlanden der andern Erfolge verbucht, während die andere in urbanen Wählermarkt der modernen Parteien nicht anzukommen scheint.

Das Thema der Parteienfusionen jedoch ist geblieben. Meist wird es von Intellektuellen hochgehalten, gelegentlich stossen auch einige Parteispitzen hinzu. Urs Altermatt, der emerierte Freiburger Geschichtsprofessor, und Urs Schwaller, der Freiburger Fraktionschef der CVP, sind gegenwärtig ihre Wortführer: Mal empfiehlt man der CVP einen Zusammenschluss mit der BDP, mal versucht man, aus CVP und FDP eine neue Mittepartei zu formieren. Hintergrund ist die Ambition, dass die CVP den verlorenen zweiten Bundesratssitz zurück erhält: Entweder via Nachfolge von BDP-Bundesrätin Schlumpf, oder dann im Tausch zwischen FDP und CVP, die einen je einen eigenen und gemeinsam einen weiteren imTurnus haben sollten.

Das belebt den medialen Diskurs im Wahljahr jenseits der etwas professoralen Konkordanzdiskussion in der NZZ. Doch riecht es für meinen Geschmack zu sehr nach Machterhalt oder Machterwerb, ohne dass dabei geklärt wird, ob es auch sachpolitisch Sinn stiftet. Denn das ist angesichts der organisatorischen Hindernisse eine unabdingbare Voraussetzung.

In den 90er Jahren gehörte auch ich zu jenen, die über neue Parteinformationen in der Schweiz nachdachten, weil die WählerInnen in Bewegung gerieten. Die damalige Analyse sprach für eine Tripolarisierung der Wählerschaft, die meiner Ansicht nach durch drei starke Parteilager hätte repräsentiert sein müssen: durch einen pro-europäisch-linken Pol, durch einen Pol aus weltoffenen Schweizer ModernistInnen, und durch einen nationakonservativen Pol.

Nach den Wahlen 1995 wäre der Moment zum Handeln gewesen, um eine Basis für einen gesicherten Support zu schaffen, der namentlich in der Europa-Frage über den bilateralen Weg hinaus führen sollte. Die damaligen Diskussionen zeigten mir indes klar, dass die Schweizer Parteien dazu ohne grösste Not nicht in der Lage waren – und es wohl auch heute noch nicht sind. Denn sie werden weder durch die nationalen Parteipräsidien, noch durch die Fraktionen geführt, wie die viele JournalistInnen meinen. Vielmehr werden die relevanten Entscheidungen in den Kantonalparteien getroffen und so auf der nationalen Ebene aggregiert.

Der Föderalismus in den Schweizer Parteien ist zwar historisch begründbar, er lebt heute aber vor allem wegen den Karrierplanungen der kantonalen PolitikerInnen, die RegierungsrätInnen werden oder bleiben wollen weiter, tatkräftig weiter. Die sind für Allianzen von Fall zu Fall zu haben; Parteifusionen stehen sie aber sehr distanziert gegenüber. Die einzige Neuformierung bestehender Parteien seit Mitte der 90er Jahre die SVP, die PolitikerInnen von Kleinparteien unter ihrer eigenen Aegide Platz bot, ansonsten auf WählerInnen-Gewinne, nicht Parteifusionen setzte, um stärker zu werden.

Was heisst das alles in der gegenwärtigen Situation?

Erstens, Parteifusionen nach deutschen Vorbild scheitern in der Schweiz, oder sie bereiten den Fusionierten während Jahren Verdauungsprobleme, was sie nur vorübergehend artihmetisch stärkt, nicht aber politisch.
Zweitens, Sinn machen Fraktionsgemeinschaften auf nationaler Ebene – vielleicht nach französischem Muster. Denn nur sie gewähren in der Schweiz der föderalistsichen Vielfalt von Interessen genügend Spielraum.
Drittens, Holding-Spekulationen fehlt das Element der Stabilität, die für eine Regierungssystem unabdingbar ist. Als thematische Allianzen dürften sie taugen, als machtpolitische Pfeiler im Wettbewerb und Exekutivsitze sind sie kaum von Dauer.

Denn eines darf man nicht vergessen: Voraussetzung für eine neues Regierungssystem sind stabile Parteien, die je für sich elektoral Erfolg haben. Selbst eine Fraktionsgemeinschaft aus FDP, CVP, GLP, BDP und EVP nach den Wahlen 2011 kann nicht mit Sicherheit darauf aufbauen, in der Vereinigten Bundesversammlung eine Merheit zu haben. Das spricht dafür, siich soweit in neuen Fraktionen zu einigen, dass genügend innere Kraft entsteht, mit der man Verbündete in anderen Fraktionen sucht.

Claude Longchamp