Parteienbarometer: das neu aufgemischte Zentrum

Ueberblickt man alle kantonalen Parlamentswahlen seit anfangs 2008, ist die BDP die eigentiche Wahlsiegerin. Aus dem Nichts ist sie landesweit im Schnitt zur einer 4-Prozent-Partei geworden. Ueberhaupt: Das Zentrum der Parteienlandschaft wird gegenwärtig neu aufgemischt.

parteienbarometer
Eben fertig gestellt: Das gfs-Parteienbarometer mit einer Uebersicht über die Trends in den kantonalen Parlamentswahlen

Seit Langem erstellt das Forschungsinstitut das Parteienbarometer. Ursprünglich war es als Kontrollinstrument für Wahlumfragen gedacht. Zwischenzeitlich weiss man, dass nationale und kantonale Parteientwicklungen nicht mehr identisch sind. Das Instrument gibt dennoch einen Ueberblicke über die Parteientwicklungen in allen Kantonen, die ihr Parlament nach dem Proporzwahlrecht bestellen. Gegenüber anderen Instrumenten stellt es nicht auf Sitze, sondern auf Stimmen-Anteile ab, und es reiht diese nicht einfach auf, sondern gewichtet sie aufgrund der Wahlberechtigten in den Kantonen.

Bei sechs Parteien sind die Veränderung seit den letzten Nationalratswahlen relevant. Wählende gewonnen haben die BDP, die GLP und die SVP, solche verloren haben die FDP.DieLiberalen, die SPS und die CVP. Tendenzielle VerliererInnen sind darüberhinaus die EVP und die Schweizer Demokraten. Bei allen anderen Parteien heben sich Gewinne und Verluste in der diversen Kantonen weitgehend auf.

Die BDP ist das jüngste Kind in der Schweizer Parteienlandschaft. Hervorgegangen aus dem SVP-internen Streit nach der Wahl von Eveline Widmer-Schlumpf in den Bundesrat, hat sich der abgespaltene Teil als 4 Prozent-Partei etablieren können. Die PolitikerInnen, namentlich in den Kantonen Graubünden, Bern und Glarus, sind in der Ueberzahl ehemalige SVP-PolitikerInnen. Ihre Basis ist aber neu und kantonal stark unterschiedlich. Die Wählerverluste der SVP an die BDP sind marginal. Eher noch leidet die FDP unter solchen Wechlertendenzen. Beschränkte Gewinne der BDP gehen zulasten der CVP und der SPS. Entscheidend ist aber, dass es der BDP gelingt, Neuwählende zu mobilisieren – BürgerInnen, die vormals keine politische Heimat hatten.

Die GLP hat bei allen kantonalen Wahlen insgesamt 3 Prozent hinzugewonnen. Damit ist auch die zweitjüngste Kraft im schweizerischen Parteiensystem in den letzten Jahren ausgeprochen erfolgreich gewesen. Der Fukushima-Effekt hat das Ganze befördert, aber bei weitem nicht ausgelöst. Erfolgreich ist die Partei, weil sie zwischen den Blöcken agiert, einen Schwerpunkt in Oekologiefragen hat, Programmpunkte aber so zusammenstellt, dass sie das linksliberale WählerInnen-Spektrum offen abdeckt. Kantonale Analysen zeigen, dass sie zuerst enttäuschte WählerInnen von Rotgrün anspricht, danach aber auch im bürgerlichen Zentrum punktet.

Die SVP ist die kleine Siegerin bei den kantonalen Wahlen. Sie hat rund 1 Prozent zulegen können. Zu Beginn der Legislatur profitierte sie vom Schub, den sie aus den Nationalratswahlen 2007 mitnehmen konnte. Das hat sich zwischenzeitlich abgeflacht, es sind auch einige Wahlniederlagen hinzugekommen. Zentrale Determinante für SVP-Erfolge ist die Mobilisierung. Je höher die thematische Polarisierung ist, desto eher gelingt es ihr, nationalkonservative ProtestwählerInnen anzusprechen und zur Wahl zu bewegen.

Grösster Verlierer der kantonalen Wahlen seit anfangs 2008 ist die FDP. 3,5 Prozentpunkte hat sie heute weniger als die FDP und LP vor vier Jahren hatten. Die Fusion brachte kantonal nicht überall den erwarteten Schub. Zwar startete man in Neuenburg durch; doch andernorts sind die Probleme erheblich, wie nicht zuletzt die Genfer Wahlen gezeigt haben. Ueberhaupt, die FDP verlor nach einem kleinen Zwischenhoch 2011 durchwegs in den kantonalen Wahlen. Sie ist unter mehrfachem Druck. Steht sie in der Mitte, verliert sie einen Teil der konservativen WählerInnen. Bewegt sie sich zu stark in Richtung SVP, fühlen sich ökoliberale WählerInnen nicht mehr angesprochen. Wichtiger noch als Verluste nach links und rechts sind jedoch Abgänge durch Ableben oder Desaktivierung ehemaliger WählerInnen. Strukturell braucht die FDP dringend eine Verjüngung ihrer Wählerschaft.

Die SP ist der zweite Verlierer der kantonalen Wahlen. Zwei Prozentpunkte schwächer ist sie innert vier Jahren auf kantonaler Ebene geworden. Ihr Zyklus ist genau umgekehrt zu dem der FDP. Der herbe Wahlverlust 2007 demotivierte die Partei bei den nachfolgenden kantonalen Wahlen. Verluste namentlich an die GLP schmerzten, phasenweise gabe es auch negative Wanderbilanz zu den Nicht-WählerInnen. Zwischenzeitlich ist die Mobiliseirung der Partei wieder besser, doch ist sie angesichts der pointierte Links-Position voll vom neuen Stadt/Land-Konflikt erfasst worden: Was sie in den grossen Zentren gewinnt, wird durch starke Verluste auf dem Land und in den kleinen Städten übertroffen.

Schliesslich sei die CVP erwähnt, deren WählerInnen-Anteil in den Kantonen ebenfalls um rund 2 Prozentpunkte nachgelassen hat. Wie alle Parteien im Zentrum ist sie durch die Umgruppierungen von traditionellen zu neuen Kräften erfasst worden. Wie die FDP hat auch sie gewisse Richtungsprobleme: In ländlichen Raum ist die Wählerschaft konservativ, und das konfessionelle Moment hält sie nicht mehr davon ab, etwas anderes als die CVP zu wählen. Im urbanen Raum wiederum steht man voll unter dem Eindruck der grünliberalen Erfolge, welche die Modernisierung der CVP in den Städten schnell in den Schatten stellte. Zentrales Problem der CVP ist, dass sie kein eigenen Themen setzen kann.

Unter dem Strich ist die Wählerschaft bei kantonalen Wahlen der letzten 4 Jahre nicht mehr weiter polarisiert worden. Der lang anhaltende Trend seit Mitte der 90er Jahren ist weitgehend gestoppt. Jetzt wird das Zentrum durch neue Kräfte aufgemischt: BDP und GLP sind attraktiv geworden, FDP und CVP haben an Glanz eingebüsst.

Claude Longchamp