Wahlbefragungen, Wahlbörsen und Wahlergebnisse im Kanton Zürich im Vergleich

Parteiwahlen sind einfacher vorherzusehen als Personenwahlen. Diese gut bewährte Regel hat sich auch in Zürich bewahrheitet. Die Umfrage von Isopublic für den Tagesanzeiger-Medienverbund lag bei der Kantonsratswahl mit beschränkten Abweichungen richtig. Bei den Regierungsratswahlen ergeben sich aber relevante Abweichungen.

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Stellt man auf die Prognosefähigkeit von Wahlbefragungen und -börsen 10 Tage vor der Wahl ab, schneiden die Umfrage und Wahlbörse gleich gut ab. Beide Instrumente haben einen Abweichung von 1,25 Prozentpunkten pro Partei. Das ist mittlerer Werte für die Güte beider Instrumente.
Die Tagesanzeiger-Wahlbefragung täuschte sich bei der SP. Festgehalten wurden Gewinne, schliesslich resultierte ein kleiner Verlust. Die Differenz zwischen Befragung und Resultat beträgt 1,7 Prozentpunkte. Grösser noch ist die Abweichung bei der FDP, die schlechter als erwartet abschnitt. Dafür gewann die BDP 1,7 Prozentpunkte mehr als angezeigt, und die SVP verlor 1,6 Prozent weniger als angenommen. Alle Abweichungen bleiben im Stichprobenfehler. Auf einen Nenner gebracht, kann man sagen: Die SVP wurde (wie häufig) unterschätzt, und der Wechsel zu den neuen Parteien (insbesondere zur BDP) auch.

Die Börsianer irrten sich bei der GP. Da wurde 10 Tage vor der Wahl noch mit einem Verlust gerechnet, schliesslich resultierte ein kleiner Gewinn. In der Grössenordnung verschätzte sich die Wettgemeinde bei den Verlusten der SVP (2,5 Prozentpunkte weniger als angenommen) und der FDP (2,1 Prozentpunkte mehr als prognostiziert). Zu skeptisch war man hier auch bei der SP (1,4 Prozent negativer als effektiv), während mit dem Einbruch der CVP nicht wirklich angenommen wurde (1,1 Prozentpunkte geringer als in der Tat). Auch hier kann man vereinfachend festhalten: Die Börsianer sind in der Einschätzung der Linksparteien zu skeptisch.
Einen Tag vor der Wahl war die Wahlbörse dann genauer. Der mittlere Prognosefehler bei den acht grössten Parteien betrug 0.71 Prozentpunkte. Mit anderen Worten: Was in den letzten zwei Wochen geschah, hatte einen beschränkten Einfluss, der richtig bemerkt wurde. Ein Vergleich mit Befragungen ist hier nicht möglich, da die Standesregel des schweizerischen Branchenverbandes es untersagt, so kurzfristiger vor der Wahl Umfragen zu machen.

Schlechter stimmten die Befragungsergebnisse 10 Tage vor der Wahl mit den Resultaten der Regierungsratswahlen überein. Der mittlere Prognosefehler liegt hier bei 6,1 Prozentpunkten. Das ist weit ausserhalb des Stichprobenfehlers. Da dies bei den Kantonsratswahlen nicht der Fall war, sollte man nicht einfach auf ein generelles Problem mit der Umfrage schliessen. Vielmehr kann man annehmen, dass ein Teil der relevanten Meinungsbildung bei dieser Wahl tatsächlich in der Zeit nach der Befragung geschah.

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Denkbar ist die folgende Hypothese: Der bürgerliche Schulterschluss gelang erst zuletzt, vor allem zwischen SVP (beide Kandidaten legen um +8 %punkte gegenüber Umfrage zu) und FDP (+6%punkte), jedoch nicht mit der CVP. Umgekehrt funktionierte das rotgrüne Bündnis beim effektiven Aufschreiben von Namen gut (+5%punkte bei Graf, +4%punkte bei Fehr). Das kann mit der Grosswetterlage zusammenhängen, dem Linksrutsch in den Städten, aber auch Taktik sein, die sich aus der aktuellen Stimmungslage der einzelnen BürgerInnen gegenüber den KandidatInnen ergibt.

Rätselhaft bleiben die Resultate Regine Aeppli und Hans Hollenstein. Denn sie schneiden in der Wahl als einzige schlechter ab als in der Umfrage (je -5%). Einen Grund hierfür kann man aus dem Geschehen am Ende des Wahlkampfes nicht ableiten, sodass Befragungeffekte bei einzelnen KandidatInnen hier nicht ausgeschlossen sind. Von aussen her kann man dazu aber nicht mehr sagen.
Bei Hans Hollenstein war das am Ende des Wahltages ausschlaggebend. Richtig erkannte die Umfrage, dass die Wahlchancen von Martin Graf (GP) stiegen, doch nahm man fälschlicherweise an, zulasten von Markus Kägi (SVP).

Eine minimale Schlussfolgerung sollten Demoskopen und JournalistInnen meines Erachtens jeweils schon im Voraus gerade bei Personenwahlen beherzigen: Zu Umfragen gibt es keine wirkliche Alternative. Wenn nun Hochrechnungen gepriesen werden, übersieht man, dass deren Prognosewert 2-3 Stunden beträgt und damit kein Ersatz für Vorwahlbefragungen sind. Parteiwahlen können präziser befragt werden, weil die Meinungsbildung stärker länger- und weniger kurzfristig erfolgt, während bei Personenwahlen bis am Schluss Relevantes Vieles offen bleibt.
Wünschenswert wären grössere Stichproben, oder Befragungen bei BürgerInnen mit einer Teilnahmeabsicht. Das würde die denkbaren Fehlerquellen verringern. Im aktuellen Fall wäre es sicher besser gewesen, wenn man angesichts der Ereignisse eine repräsentative Umfrage vorher und nachher gehabt hätte; so blieb letztlich alles Spekulation.
Unabhängig davon gilt: Umfragen sind deshalb nicht einfach falsch, wenn sie mit dem Ergebnis nicht identisch sind, denn sie werden aber überinterpretiert, wenn sie in einem Meinungsbildungsprozess unbesehen zu Prognosen gemacht werden.

Claude Longchamp