Wahlen im Kanton Zürich: bisherige WählerInnen fragen neue Kräfte nach

Die Zürcher Wahlen zeigen eine tiefe, stabile Beteiligung. Im Kantonsrat kommt es zu einer Umgruppierung der Mitte von den traditionellen Parteien FDP und CVP zu den neuen wie GLP und BDP. Bei den Regierungsratswahlen werden die neuen Mario Fehr (SP) und Martin Graf (GP) gewählt, nicht bestätigt wurde der einzige CVP-Vertreter Hans Hollenstein.

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Die Beteiligung ist gemäss vorläufigem Endergebnis für Zürcher Verhältnisse normal, das heisst praktisch unverändert tief. Von einer Protestwahl, die mobilisiert hätte, kann nicht die Rede sein. Verschiebungen sind eher zwischen den Parteien zu erwarten. Gefragt sind dabei neue Kräfte, mit ökologischer Ausrichtung.

Der neue Regierungsrat des Kantons Zürich ist nach einem Unterbruch wieder polarisierter. Mit Mario Fehr und Martin Graf wurden zwei neue Bewerber gewählt, die sich thematisch klar links positionieren. Rotgrün ist damit gestärkt worden, sie steht aber unverändert vier Bürgerlichen gegenüber. Geschwächt worden ist die Mitte, die in der Kantonsregierung nicht mehr vertreten ist. Wie immer bei Majorzwahlen dürfte eine Mischung für die Abbwahl von Hans Hollenstein das ungewohnte Ergebnis bewirkt haben: Als Person war er nach umstrittenen Entscheidungen im Migrationsamt angeschlagen, politisch war er in der Sans-Papier-Frage nach rechts gerückt, und als Partei trägt die CVP im urbanen Gebiete einfach nicht.

Im Zürcher Kantonsrat sind die Grünliberalen die erwartete Siegerin. Besser als allgemein angenommen schneidet die BDP ab. Namhafte Verluste gibt es für die bürgerlichen Mitte. Relegiert werden CVP und FDP, etwas auch die EVP. Die rechte und die linke Parteienkönnen sich bei minimen Verlusten und Gewinnen halten. Von einem Linksrutsch wie bei der Exekutivwahlen kann man bei den Legislativwahlen jedoch nicht sprechen. Vielmehr formiert sich das Zentrum neu: die bürgerlichen Traditionsparteien verlieren hier an Attraktivität; die neuen gemässigen Parteien erscheinen da an sich attraktiver, selbst wenn man ihre KandidatInnen und auch ihr Programm kaum kennt.

Das Neue ist das tragende Element der Zürcher Wahlen. Gestoppt ist die nationale Grundstimmung, die der SVP Sieg für Sieg bei Wahlen und Abstimmungen brachte. Von einer neuen Protestwelle aufgrund des AKW-Unfalls in Japan ist nichts zu sehen. Anders als in Deutschland ist die Wahlbeteiligung nicht steigend, und von einem Erdrutsch im 10-Punkte-Bereich findet sich nicht. Verstärkt wurden die bisherigen Trends in Kantonswahlen. Nicht die Polarisierung zwischen links und rechts bringt Gewinne, sondern die gezielte Ansprache von Enttäuschungen und Hoffnungen in der Mitte ist heute entscheidend.

Kann man das alles auf die nationale Ebene extrapolieren? Die Regel lautet: Wer mehr als 1 Prozent in Zürich gewinnt oder verliert, ist auch national Sieger oder Verlierer. Das heisst, GLP und BDP haben Aussichten zuzulegen, wenn auch unklar ist, wie viel das sein wird. Und es meint auch, dass FDP, CVP und EVP um ihre Stärke im Nationalrat Bangen müssen. Das alles kann aber überspielt werden, wenn sich die politische Grosswetterlage ändert. Innert 9 Monaten haben wir nun drei solcher Phase erlebt: Die Stabilisierung der Schweiz bei den Bundesratswahlen im Herbst 2010, die Aufwühlung des Landes bei den Abstimmungen im November mit Vorteile für die Nationalkonservative, und einen grünen Trend, der die Mitte parteipolitisch neuaufmischt. Bis zum Wahlherbst vergehen noch sechs Monate – Zeit genug, das sich ein oder zwei neue Bilder etablieren können!

Claude Longchamp