Symbolischer hätte der Tod von Samuel Huntingtion nicht sein können. Denn der Vordenker des weltlichen Weltherrschaft verstarb am Weihnachtsabend. Dem letzten notabene unter der Bush-Administration, die mit dem Irak-Krieg den empirischen Beleg für den von Huntington prognostizierten “Kampf der Kulturen” gebracht zu haben schien.
Nach 1993 wurde Samuel Huntington zu einem der umstrittensten Politikwissenschafter der Gegenwart, veröffentlichte er doch in “Foreign Affairs” einen Artikel zum “Kampf der Kulturen” – noch mit Fragezeichen versehen -, der die amerikanischen AkademikerInnen provozierte und, 1996 zum Buch ausgearbeitet – und nun ohne Fragezeichen publiziert -, die politische Oeffentlichkeit der USA stark beeinflusste.
Die generelle These Huntingtons postulierte das Ueberdauern der ideologischen Kontroversen aus dem Kalten Krieg in Form eines Kulturkonfliktes. Die zentrale Konfliktlinie sei zwar nicht mehr zwischen Westen und Osten, aber zwischen den 8 Weltkulturen (westliche, lateinamikanische, islamische, chinesische, hinduistische, orthodoxe, japanische und afrikanische).
Relativiert wurde damit die Bedeutung des Nationalstaates in der global ausgerichteten Welt, nicht aber seine Bedeutung als Garant kulturell-religiöser Differenzierung. Huntington warnte, der christlich geprägte, angelsächsische Westen werde seine Vorherrschaft verlieren, wenn er die zentrale Konfliktverlagerung nicht produktiv verarbeite.
Die Vorhersage neuartiger Konflikte schien sich am 11. September 2001 zu bewahrheiten, als die USA von Osama Bin Ladens Terroristen angegriffen wurde. Die Administration von Georges W. Bush nahm dies 2003 zum Anlass, Irak unter Saddam Hussein den Krieg zu erklären. Zwischenzeitlich ist Hussein gestürzt und das amerikanisch-britisch-australische Engagement im Irak neigt sich dem Ende zu. Man weiss heute auch, dass der Irak unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eröffnet wurde, dass er über die Folterpraxis der USA die amerikanische Weltherrschaft diskreditiert hat und dass der Skandal den Ausgang der jüngsten Wahlen in den USA mitbeeinflusst hat.
Die Kritik an Huntingtons These in der akademischen wie auch publizistischen Oeffentlichkeit hatte schon früh eingesetzt. Vorgeworfen wurde Huntington, eine Rechtfertigungsstrategie für die aggressive Interessendurchsetzung der USA gegenüber der islamischen wie auch der chinesischen Welt verfasst zu haben. Zu den berühmtesten Kritikern Huntingtons zählt insbesondere der Nobelpreisträger Amartyra Sen, der die Reduktion von Weltpolitik auf religiös definierte Kulturen als vereinseitigende Identitätsfalle zurückwies.
Samuel Huntington, während seiner mehr als 50 Jahre dauernden akademischen Karriere fast ausschliesslich an der Harvard University tätig, hatte viele politische und publizistische Aemter inne und war mehrfach Regierungsberater. 2007 zog er sich 80jährig ganz aus dem öffentlichen Leben zurück. Die reale Krise der Globalisierung und den Niedergang der amerikanischen Wirtschaft unter der Bush-Administration verfolgte er nur noch als Privatmann. Als solcher verstarb er an Weihnachten 2008 bisher fast unbemerkt.
Claude Longchamp
Nachruf der Harvard University
Nachruf des Economist
Hier noch der Nachruf aus dem österreichischen Standard
New York – Es ist schon eine fast gespenstische Koinzidenz, dass der US-Politologe Samuel Huntington ausgerechnet in den letzten Tagen dieses Jahres, am 24. Dezember, starb. 2008 markiert nichts weniger als das Ende der Welt, wie wir sie bisher kannten. Die welthistorische Phase, die mit dem Fall der Mauer, dem Ende des Kalten Krieges begonnen hatte, ging nun mit Finanzmarkt-Kernschmelze und Obama-Wahl zu Ende. Samuel Huntington war einer derer, die dieser Ära ihre Stichworte gaben.
Es waren im Grunde zwei Theorien, die in den vergangenen zwanzig Jahren Furore machten: Francis Fukuyamas Postulat vom “Ende der Geschichte” und Huntingtons These vom “Kampf der Kulturen”. Diese Thesen widersprachen sich ein wenig, aber sie ergänzten sich auch. Der liberalkonservative Politologe Fukuyama hatte 1989 in dem Essay “Ende der Geschichte?” behauptet, dass Geschichte in einem emphatischen Sinn zu Ende gehe, weil das westliche Modell (liberale Demokratie, freie Marktwirtschaft) gesiegt habe.
Huntington widersprach dem nicht direkt, meinte aber, dass mit dem Ende der Auseinandersetzung der Ideologien wieder die Konfrontation der Weltkulturen, der Großzivilisationen auf der Tagesordnung stünde. Huntington, eher ein traditioneller Konservativer als ein “Neokonservativer”, breitete seine These erstmals 1993 aus. Die Welt sortiere sich nicht mehr entlang von Großideen, sondern entlang traditioneller kultureller Gräben, war Huntington überzeugt: hier der Westen mit seiner judäo-christlichen Tradition plus Aufklärung plus Marktwirtschaft. Da das buddhistisch-konfuzianische Asien, dort die muslimische Welt.
Huntington, der konservative Denker, war davon überzeugt, dass die großen Weltkulturen nicht zusammenpassen. Er analysierte den identitären Diskurs – und war selbst schon Teil von ihm. Dies machte seinen Text zu einer Provokation. Die These vom Kampf der Kulturen machte etwas sichtbar – aber sie war auch, wie Essayist Nils Minkmar schrieb, “eine intellektuelle Kippfigur: Wenn man sie einmal im Sinn hat, deutet man alle Ereignisse nach diesem Muster.”
Dann sind islamische Terroristen, chinesische Investoren, jugoslawische Sezessionisten und Hernalser Jungmachos mit “Migrationshintergrund” Symptome dafür, dass “die Kulturen” in einer ewigen Spannung zueinander stehen. “Die Angehörigen der verschiedenen Zivilisationen haben unterschiedliche Ansichten über das Verhältnis von Gott und Mensch, den Individuen und den Gemeinschaften, Bürger und Staat, Eltern und Kindern, Männern und Frauen und ebenso sehr verschiedene Auffassungen über das richtige Verhältnis von Rechten und Pflichten, Freiheit und Autorität, Gleichheit und Hierarchien”, schrieb Huntington. Diese seien über Jahrhunderte gewachsen. Gleichzeitig werde “die Welt kleiner”. Menschen unterschiedlicher Kulturen haben mehr miteinander zu tun.
Dies jedoch nivelliere die Differenzen nicht, es “verstärkt das Bewusstsein der kulturellen Differenzen”. Weil der Westen am Höhepunkt seiner Macht steht, zieht er das Ressentiment nichtwestlichen Zivilisationen nach sich. Und weil die klassischen Ideologien und Politrhetoriken (“Sozialismus”, “Nationalismus”, “Postkolonialismus”) delegitimiert seien, mithilfe derer die Underdogs der Welt zuvor revoltierten, griffen sie zunehmend zum religiösen Vokabular. Dies war eine frühe, hellsichtige Analyse jener Triebkräfte, die den Aufstieg des islamischen Fundamentalismus begünstigten.
Aber Analysen sind nie “nur” Analysen, sie führen auch ein Eigenleben. So verkam Huntingtons Modell zur Bush-Doktrin, zum aggressiven “Wir gegen Sie”. Gänzlich unschuldig ist Huntington zu dieser zweifelhaften Ehre nicht gekommen. Er hat die kulturellen Identitäten als etwas Festes beschrieben. Individuen waren für ihn primär von kulturellem Herkommen und von Religion geprägt. Nur wenige Jahre nach Erscheinen der Kulturkampf-Theorie legte er in “Who we are” nach, in dem er die These aufstellte, die Immigration aus Lateinamerika zerstöre die kulturelle Identität der USA. In den 1970ern stieg der Harvard-Professor zu einem der einflussreichsten Denker auf, weil er ob der Hippies und des “Verfalls der Autorität” die “Unregierbarkeit” der westlichen Demokratien vorhersagte. Mit der Kulturkampf-Theorie lag er besser. Denn wenn man den Kampf der Kulturen nur lange genug beschwört, kriegt man ihn auch.
(Robert Misik//DER STANDARD, Printausgabe, 29. 12. 2008
Ich habe mich mit dem gleichen Thema vertiefter auseinandergesetzt, wenn auch eher aus der persönlichen Warte:
http://www.stadtwanderer.net/?p=4534