Vom Bedeutungsverlust kantonaler Wahlen

Alles schaut gespannt auf die letzten kantonalen Wahlen: in Basellandschaft an diesem Sonntag, in Zürich am nächsten, und in Luzern und Tessin am übernächsten. Dabei sollte man eines nicht übersehen: nationale Wahlen erleben eine eigentliche Renaissance, kantonale kaum.

beteiligung

42,2 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich an den Nationalratswahlen 1995. Das war der historische Tiefpunkt in der Wahlmobilisierung auf gesamtschweizerischer Ebene. Seither nimmt die Wahlbeteiligung zu: um 1 Prozentpunkt bis 1999, um weitere 2 Prozentpunkte bis 2003 und um nochmals zusätzliche 3 Prozentpunkte bis 2007. Extrapoliert auf die Wahlen in diesem Herbst, lässt das, unter gleich bleibenden Bedingungen, eine Beteiligung von 52 Prozent erwarten.

De Gründe sind vielfältig: Die Zahl der KandidatInnen steigt, auch jene der Parteilisten ist zunehmend. Das vermehrt das Angebot. Nachfrageseitig sind insbesondere Protestpotenziale steigend, die gegenüber Diesem und Jenem in der nationalen Politik misstrauisch geworden sind. Schliesslich zeigt ein neuartiger Medienwahlkampf Wirkungen: Ins Zentrum gerückt sind ausgewählte, national bekannte Politunternehmer, an denen man sich reiben kann. Sie haben ihre eigenen Projekte, kommentieren beinahe jede Sachfrage, meist um die thematisiche oder wertmässige Polarisierung anzuheizen. Ergänzt wird dies durch Politikprominenz aus der Mitte, die nicht einmal kandidieren muss, aber hochgradige Identifikationsmöglichkeiten anbietet. Zwar werden die Sitze unverändert in den Kantonen verteilt, der Wahlkampf für National- und in wachsendem Masse auch für Ständeratswahlen wir national oder wenigstens sprachregional geführt.

Bei kantonalen Wahlen findet man nur Teile davon. In der Regel geben die Wahlen in die Regierung den Takt vor, den Bisherige haben meist gute Chancen einer Wiederwahl, was das Interesse in der Regel auf einzelne Sitze reduziert. Der Rest kann im Schlafwagen zur Wahlfeier fahren. Gemieden wird dabei eine sichtbare Nähe selbst gegenüber der eigenen Partei, denn das Majorzsystem erfordert, Stimmen überparteilich zu machen. Allenfalls kommt es lagerbezogenen Blockbildungen und Allgemeinplätzen auf der Ebene von Aussagen. Kandidierende ins Kantonsparlement gibt es je nach Kanton mehr oder weniger; selten haben sie aber kantonale Ausstrahlungskraft. Das verhindert auch, dass sie Themen setzen können, die andere aufgreifen müssen. Via Eigenwerbung und Online betreibt man vor allem Eigenmarketing. Das Medienverhalten ist entsprechend. Die dominante Lokalpresse ist regierungsnah, deshalb auch nur beschränkt angriffslustig; sie fördert vor allem das staatspolitische Interesse.

Die Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung sind entsprechend. Als ich vor einem Vierteljahrhundert mit Wahlanalysen begann, galt noch als Regel, dass eine kantonale Wahl an einem nationalen Abstimmungssonntag zu einem erhöhten Beteiligung mindestens im besagten Zählkreis führt. Heute ist alles umgekehrt. Die Teilnahme an kantonalen Entscheidungen ist tiefer; nationale Abstimmungen könnten sie und damit auch das Wahlergebnis beeinflussen, weshalb man gerne eigene Termine für Wahlen in den Regierungs- und Kantonsrat wählt.

Typisch dafür ist, dass selbst im Kanton Zürich, der unter den Kantonen eine noch am stärksten polarisierte Politkultur kennt, die Wahlbeteiligung bei Regierungs- und Kantonsratswahlen tief ist – und auch keine Trendumkehr sichtbar wird. Die bisher geringste Wahlbeteiligung gab es 2007 mit 34 Prozent. Das ist ein Klacks gegenüber dem, was national üblich geworden ist.

Man kann es auch so sagen: Kantonale Wahlen leiden an einem Bedeutungsverlust, ohne dass bis heute eine flächendeckende oder wenigstens im Einzellfall spannende Wende sichtbar geworden wäre. Das relativiert die Möglichkeiten, aus kantonalen Wahlen Parlamentswahlen nationale Trends abzuleiten – was in den nächsten 14 Tage n nicht vergessen gehen sollte. Denn das, was sich bei nationalen Parlamentswahlen in Sachen Mobilisierung seit 16 Jahren entwickelt, zeigt sich bei kantonalen eigentlich nirgends.

Claude LOngchamp