Neues Lexikon zur Wahlforschung

Das Buch hat den seltsamsten Titel, den ich je gelesen habe: “Wahlforschung: Mehrheit, Mierscheid-Gesetz, Erfolgswert, Negatives Stimmengewicht bei Wahlen, Wahlbeteiligung, Nichtwähler, Arrow-Theorem”., heisst es. Der Grund ist ganz einfach, ist es doch ein Zusammenzug aller deutschsprachigen Wikipedia-Artikel zur Wahlforschung.

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Die Ansichten, gehen auseinander, ob man mit Wikipedia unterrichten soll oder nicht.

Die zahlreichen Skeptiker finden, das gehe überhaupt nicht. Die Qualität der Wikipedia-Artikel sei zu unterschiedlich, als dass man sich darauf verlassen solle. Sie zu verbessern, sei Sisyphus-Arbeit, denn nicht die Wissenden oder Gutmeinenden bestimmten ihre Inhalte, sondern die Unwissenden oder Schlechtmeinenden.

Die Optimisten verweisen gerne auf die Weisheit der Vielen: Sie sei offener für alles Mögliche, das neu sei. Und Informationen oder Standpunkte, die jenseits vom mainstream seien, würden durch die rege Nutzung von Wikipedia früher oder später neutralisiert. Der vereinfachte Sprachenvergleich erlaubt es zudem schnell, unsinnige Eigenheiten von Beiträgen zu erkennen.

Selber zähle ich mich zu den Realisten, die nüchtern feststellen, wie oft man selber auf Wikipedia ist, wenn am Computer schreibt und ein Thema behandelt, bei dem man selber nicht Spezialist ist. Das gilt für Studierenden in sehr vielen Bereichen, in die sie sich einarbeiten müssen. Ich bin auch deshalb Realist, weil ich, wo ich Fachmann bin, selber Artikel schreibe, bei denen es mich gar nicht stört, wenn sie übernommen werden.

Natürlich geht man einen Schritt weiter, wenn man aus online-Produkten Bücher macht. Wikipedia gibt es ja jetzt schon, um es im Büchergestell zu platzieren. Doch ist das wieder so unhandlich, dass man es nicht wirklich nutzt. Sonderdrucke, die man leicht einpacken oder auf einem Pult abstellen kann, können da durchaus von Vorteil sein.

Was sind die Stärken, was die Schwächen solcher Bücher? Zunächst sind die Kosten geringer. Sodann ist die Produktion einfacher. Schliesslich wird aus Bisherigem ein Mehrwert erzeugt. Was in einem Buch steht, kann verbindlicher zitiert werden, ist tendenziell auch glaubwürdiger. Last but not least, es gibt immer noch viele Leute, die lieber Geschriebenes auf Papier als auf dem Bildschirm lesen.

Das alles kehrt sich ins Negative, wo auch das Spontane und Flüchtige, das dem online-Medium eigen ist, in eine Buch übergeführt wird. Das beginnt bei Tippfehlern, setzt sich in mangelhaften Seitenumbrüchen fort, und es endet bei unvollständigen Quellenangaben. Auf Internet drückt man da schneller ein Auge zu, in Buchform ist das dann doch heikler.

Das Lesen des Büchleins “Wahlforschung” der Bucher Gruppe macht dennoch über weite Strecken Spass. Das beginnt damit, dass nicht nur das Standardwissen abgebildet wird. So würde man das Mierscheid-Gesetz in einem Fachlexikon nicht finden, denn es persifliert Prognoseverfahren – wenn auch auch auf eine unterhaltsame Art und Weise.

Das Buch ist durchaus informativ, 32 Einstiegsmöglichkeiten, die im Schnitt auf 4 A5 Seiten Relevantes präsentieren. Es hat einen nützlichen Index, mit Sach- und Personenregister, und es zitiert selektiv Fachliteratur, die bis etwa Ende 2009 erschienen ist und sich durchgesetzt hat.

Ich kann mit gut vorstellen, dass es als Nachschlagewerk für EinsteigerInnen dienen kann, seien es Studierende oder Medienschaffende, die nicht jedesmal, wenn sie auf etwas Unbekanntes stossen, das klar umfassendere und tiefgründigere Handbuch von Jürgen Falter konsultieren wollen, das Standard bleibt.

Claude Longchamp

PS:
Ein ähnlich konzipiertes Buch ist schon Mitte 2010 zum Thema “Meinungsforschung” erschienen.