Der Mercedes-Stern über der Zürcher Politlandschaft

Peter Moser, Politikwissenschafter und Leiter des Statistischen Amtes des Kantons Zürich, ist wohl der Innovativste unter den amtlichen Datenverarbeitern. In der heutigen NZZ legt er in Bild und Wort dar, wie er die parteipolitische Landschaft seines Kantons strukturiert sieht.

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Seit dem Erscheinen des Schweizer “Atlas der politischen Landschaften” von Michael Hermann und Heiri Leuthold sind wir uns zweidimesionale Analysen des politischen Raumes gewohnt. In vielfacher Hinsicht konnte gezeigt werden, dass die klassischen Links/Rechts-Dimension mit der Polarität zwischen mehr Markt und mehr Staat durch eine neue Identitätsdimension mit nationalkonservativen und international-progressiven Werten überlagert wurde.

Umstrittener ist aber, ob daraus effektiv eine Vier-Felder-Tabelle mit linksliberal, rechtsliberal, sozial- und nationalkonservativen Quadranten resultiert wie bei Hermann unterstellt, oder beispielsweise ein Mercedes-Stern, wie ihn Moser vorschlägt. Seine Ueberlegung ist, dass dass die wichtigste Polarität zwischen links und rechts unverändert spielt, es jedoch eine analoge Aufteilung des konservativen Lagers – mindestens in Zürich – nicht viel Sinn macht. Denn der Gegensatz dazu ist schweizbezogener Konservatismus. Deshalb bevorzugt Moser eine analytische Aufteilung mit drei Strahlen: dem konservativen, dem linksprogessiven und dem rechtsprogressiven.

Bei Abstimmung konnte der Kantonsstatistiker schon mehrfach zeigen, dass man damit sinnvolle Analysen der Ja-/Nein-Anteile, aber auch der Beteiligung machen kann. Dabei geht es dem Analytiker nicht nur um die Extreme, die eindeutig verteilt sind, sondern auch um die Profile der Parteien im Schnittfeld der drei Strahlen. Er kommt zu folgenden Schlüssen.

SVP: Der Erfolg der SVP basiert auf einer Umkrempelung von der Bauern- und Gewerbepartei mit klarem Interessenprofil zur Volksapartei mit schweizerisch-konservativen Werten. Gewachsen ist sie eben nicht nur auf dem Land, sondern in Teilen der Agglomerationen. Deren Gemeinsamkeit ist, dass es Gemeinden mit problematischen Auswirkungen der Globalisierung sind, wie die Zuwanderung wenig qualifizierter Arbeitskräfte oder die Entwertung der traditionellen Fähigkeitspotenziale. Die so entstandene Desorientierung in der Bürgerschaft wird durch die klaren und einfachen programmatischen Antworten aufgefangen.

Rotgrüne Wählerschaft: Die Kernwählerschaft von SP, GP, teilweise auch der GPL rekrutiert sich aus gut ausgebildeten Spezialisten, namentlich im Bildungs- und Gesundheitsbereich, die beim Staat oder in der staatsnahen neuen Dienstleistungswirtschaft beschäftigt sind. Die eher unscharfe Abgrenzung zwischen den Parteien führte lange zu einer hohen Fluktuation innerhalb des Lagers. Etwa zur Hälfte kann man in diesem Schema auch die GLP erklären; die andere Hälfte resultiert aus der Attraktivität des Neuen, insbesondere bei JungwählerInnen. Dem Wind der internationalen Konkurrenz waren diese Schichten bisher nur beschränkt ausgesetzt, was sich aber mit der qualifizierten Zuwanderung und vermehrten Konkurrenz an Universitäten, in Spitälern und der Kommunikationsbrache ändern könnte.

FDP: Die Verluste der FDP binnen 30 Jahren können nicht einfach mit dem Aufstieg der SVP erklärt werden. Ein Hinweise darauf ist der tiefe, bildungs- und einkommensmässige Graben zwischen den WählerInnen der bürgerlichen Parteien. Die Veränderungen der klassischen Rechtspartei hat mehr mit dem demografischen Wandel zu tun, wobei dei FDP vor allem durch das Ableben ihrer Wählenden schwindet, anders als bei der SVP junge Wählende die Verluste aber nicht wettmachen können.

Ich halte das für eine sehr stimmige Analyse der Parteienlandschaft im Kanton Zürich. Die drei Strahlen machen Sinn, die Porträts der Parteien ebenso. Untersuchen kann man damit sowohl Abstimmungen wie Wahlen. Aufzeigen könnte man das Potenzial noch für Parlaments- und Regierungsratswahlen resp. für National- und Ständeratswahlen.

Was man heute schon weiss, verdient sehr wohl die prestigeträchte Auszeichnung eines Mercedes-Sterns!

Claude Longchamp