Marc-André Röthlisberger ist Mathematiker und am politischen Leben interessiert. Er hat die beste Prognose für den zweiten Umgang zu den Berner Ersatzwahlen in den Ständerat gemacht. Chapeau!
Vor dem 2. Wahlgang zu den Berner Ständeratswahlen wagte der Münsiger Bürger als einziger eine Prognose in Zahlen. Die Polit-Analysten bewerten die Lage zwar nicht anders, aber wager. Für Adrian Amstutz kam er auf 51,5 Prozent Stimmen. Effektiv hatte er 50,6 Prozent – das ist weniger als 1 Prozentpunkt Fehlerquote!
Zwei Mal habe ich von “RM”, wie er auf dem zoonpoliticon-Blog erscheint, Post erhalten: einmal vor der Wahl – einmal nach der Wahl. Im Vorfeld begründete er seine Annahmen, im Nachhinein kritisierte er sie.
Das ist genau das Richtige vorgehen: Mit expliziten Hypothesen arbeiten, das heisst von begründeten Annahmen auszugehen, um dann zu sehen, ob sie sich bestätigt haben. Wenn ja hat mein ein Erklärungs/Prognose-Modell, wenn nein, muss man an einem verbesserten hierzu arbeiten.
18 Tage vor der Wahl lauteten Röthlisberger Hypothesen:
. Die Beteiligung geht zurück, letztlich aber nur wegen, weil von den ehemaligen WählerInnen von Christa Markwalder zahlreiche sich für keine der verbleibenden Kandidaturen erwärmen können. Röthliberger ging von 45 Prozent dieser Wahlerschaft, die so reagieren würden.
. Bei der Stimmenübertragung: Die Jost-WählerInnen gehen weitgehend zu Amstutz, da sie wertkonservativ sind. Die verbleibenden WählerInnen von Markwalder gehen zu 60 Prozent zu Wyss, zu 40 Prozent zu Amstutz.
. Neutralisiert hat er weitere denkbare Effekte, die sich aus der Kombination von Wahlen und Abstimmungen ergeben können, die nur im 1. Wahlgang spielten.
Das Ergebnis daraus lautete: Adrian Amstutz wird gewählt – und zwar mit 51,5 Prozent bei einer Beteiligung von gut 40 Prozent. Die Begründungen: Das Resultat passt ins allgemeine Klima, berücksichtigt die wichtigsten wertemässigen Konfliktlinien und ist Ausdruck des Themenwahlkampfes (vor allem Anti-Eu-Politik) des SVP-Hardliniers.
In der Evaluierung der Prognose kommt Mathematiker Röthlisberger zum Schluss:
. Die Mobilisierungsschätzung stimmte weitgehend.
. Die Annahmen für die (verbliebenen) Markwalder-Stimmen waren korrekt.
. Die Annahmen für die Jost-Stimmen war zu stark in Richtung EVP gewichtet. Im urbanen Umfeld ist die EVP näher bei rotgrün als bei der SVP.
Marc-André Röthlisberger ist ein Wagnis eingegangen. Das sagt er selber. Gut für ihn war, dass er seine Prognose etwas ausserhalb der Oeffentlichkeit machen konnte. Denn die ist nur an “richtig/falsch” interessiert, nicht an der Frage, warum etwas stimmt oder nicht.
Der Prognostiker ist genau nach Karl Popper vorgegangen: Er hat politische Annahmen (Theorie) formalisiert, mit expliziten Hypothesen gearbeitet (Operationalisierung) und ihre Richtigkeit (Verifikation, Falsifikation) überprüft hat. Daraus so kann man nur lernen!
Ein wenig unschlüssig bin ich, weil einiges doch nur Schätzungen sind. Generalisierung über das Beispiel hinaus sind zu erwarten, wenn die verwendeten Parameter abgeleitet werden können. Daran sollte man weiterarbeiten – nicht nur die Spezialisten für Zahlen, sondern auch die für politische Analysen.
Und: Prognosen im 2. Wahlgang sind einfacher als im 1. Das ist eine grössete Herausforderung an die Kunst der Vorhersage bei Ständeratswahlen.
Ich bin stolz, einen so findigen Mathematiker in meiner Leserschaft zu haben!
Claude Longchamp
Es ist ja so, dass manche, wenn die SRG-Umfragen mal nicht besonders genau stimmen, regelrecht höhnisch darauf reagieren, aber dann selbst mitunter auf Internetportalen bei Umfragen mitmachen, die kaum repräsentativ sind. Ich beschwere mich ja auch nicht bei Bucheli, wenn das Wetter in fünf Tagen in Momenten, wo viel Dynamik in der Luft liegt, anders wird, als es seine Prognose war.
Umfragen wären nur dann Prognosen, wenn sich an den Beobachtungen zu Beteiligung, Stimm- und Wahlabsicht nichts mehr ändert.
Diese Hypothese ist reichlich wiederlegt, nicht zuletzt wegen den Abstimmungskämpfen, die meinungsbildend wirken, und den Schlussmobilisierungen, die immer mehr beeinflussen. Bei Wahlen wissen wir viel darüber, bei Abstimmungen einiges, aber nicht genug.
Deshalb müsste man mit Modellen arbeiten, der Meinungsbildungsprozesse. Daran sind wir, nach dem gleichen Verfahren wie hier (Theorie, Hypothesen, Ueberprüfungen), doch ist die Oeffentlickeit daran kaum interessiert. Jede Wasserstandsmeldung wird sofort zur Prognose gemacht, zum Ende der Flutwelle.
Bei Ständeratswahlen mit zwei Wahlgängen ist alles einfacher. Die Basis ist der 1. Wahlgang, die Parameter werden aufgrund der Neupositionierung geschätzt.
Wenn man das im ersten Wahlgang schön könnte, wäre man einen grossen Schritt weiter. Das ist aber heikler.
Ich habe mich ja schon mal dazu geäussert, und war skeptisch, dass das mit solchen Methoden geht.
http://www.zoonpoliticon.ch/blog/12516/kann-man-standeratswahlen-prognostizieren/
[…] Lachat repräsentieren. Es nimmt aber auch Ansätze der Analyse auf, die Statistiker Peter Moser, Martin Röthlisberger und Stephan Tschöpe entwickeln, und es will auch einen Zugang zu den Ueberlegungen bieten, die […]